Wasserkunst Paradies

Die ewige Sehnsucht des Menschen nach der verlorenen Harmonie mit der Natur

Die Stadt,  die vielen Besuchern so paradiesisch anmutet – eingebettet in ein liebliches Flusstal - hat selbst ihr kleines „Paradies“: das des Meisterkeramikers, Architekten und Gartengestalters Josef Max Laeuger (1864-1952). Beinahe ein Wunder, dass eine der schönsten Terrassengartenanlagen im Land der Nachwelt erhalten blieb, schließlich hatte man schon den Abbruch der während der Nachkriegszeit arg heruntergekommenen „Wasserkunst“ erwogen. Dass man sich ihrer auf dem Annaberg noch immer erfreut, verdanken wir der vorbildlichen Zusammenarbeit einer bürgerschaftlichen Privatinitiative, des Freundeskreises Paradies EV, mit dem städtischen Gartenamt. Durch gemeinsame Anstrengungen konnte dieses noch immer viel zu wenig bekannte städtebauliche Juwel vor dem Verfall gerettet werden.

Auch während der langjährigen  Sanierungszeit plätscherte und sprudelte es weiter - von der Markgrafenstraße  hinab bis zum Finale des  Dreischalenbrunnens in der Bernhardstraße. Denn das lebendige Wasser ist das Wichtigste an dieser Anlage, die den Geist des 20. Jahrhunderts ebenso atmet, wie den lang zurück liegender Epochen. Ihre Anmutung  aber ist zweifellos nostalgisch. Nach Beendigung der kostspieligen Reparaturen erstrahlt Baden-Badens kleines Paradies beinahe wieder im altem Glanz, dem der „golden Twenties“. Beinahe, denn die zwei von Fontänen überrauschten runden Wasserbecken auf den Zwischenplateaus, in denen die ältesten  Einwohner Baden-Badens noch  ihre Spielzeug-Schiffchen schwimmen ließen, sind in den  fünfziger Jahren zwei nüchternen Plätzen gewichen.

Nun aber ganz von vorn, was der Name „Paradies“ ja nahe legt. Folgen doch sämtliche Gärten, ob nach den Vorstellungen eines Moritz  Schreber oder eines André Le Nôtre, dem Gartengenie von Versailles,  gleichermaßen dem Urbild des Garten Eden, mithin der ewigen Sehnsucht des Menschen nach der verlorenen Harmonie mit der Natur. Paradies – das Wort, abgeleitet vom persischen „pardēs“, bezeichnet, wie das Wort Garten ( von „Gerten“-Umzäunungen) ein eingehegtes Areal – ursprünglich wohl die Grünanlagen der assyrischen Könige.

Einem jeden Garten, gerade auch den vermeintlich so naturnahen englischen Landschaftspark, liegt  die Vorstellung zugrunde, Natur ließe sich durch Kunst, das heißt, durch die planende Hand des Gestalters und die hütende Hand des Gärtners, ästhetisch steigern, ja gleichsam  veredeln - verwandeln in Kunst-Natur.

In der jeweilige Gestalt eines Gartens spiegelt sich zwar immer der Zeitgeist (der das Wort „Park“ heute für die abwegigsten Orte zweckentfremdet) - stets aber schwingt auch etwas von der uralten Sehnsucht mit, dem Wunsch, einen Idealort zu kreieren, der Erholung, der Ruhe, der Inspiration. Gegenpol zum hektischen Treiben der Zeit. Das hatte gewiss auch Max Laeuger im Sinn, als er 1922 von der Stadt Baden-Baden mit dem Gesamtkonzept einer Terrassengartenanlage mit Villenbebauung am Annaberg unterhalb des Merkur beauftragt wurde.

Ein Jahr zuvor war der damals international bekannte Künstler zum Professor für Architektur an der Technischen Hochschule Karlsruhe ernannt worden; außerdem hatte er noch einen Lehrauftrag für Keramik an der Landeskunstschule inne.

Laeuger war 1907 Mitgründer des Deutschen Werkbund, einer der großen Ideenschmiede  des zwanzigsten Jahrhunderts. Folglich stand  er innovativen Ideen prinzipiell aufgeschlossen gegenüber. Besonderes Interesse zeigte er am neuen Werkstoff Beton und dessen vielfältigen Verwendungsweisen – was den Restauratoren noch Probleme bereiten sollte. Beeinflusst vom Jugendstil und durchaus von neusachlichen Formideen, blieb er im Herzen jedoch  Traditionalist, ein grosser Bewunderer der Garten-Ästhetik von Renaissance und  Barock, der Vergangenes und Gegenwärtiges in eine überzeugende ästhetische Symbiose bringen wollte. Dass ihm dies möglich war, hatte er bereits zwischen 1909 und 1912 in der allseits beliebten „Gönneranlage“ an der Oos bewiesen.

Überdies war er als Innenarchitekt in der Gartengestaltung auch immer an architektonischen Maßstäben orientiert. Das heißt, er war bestrebt, sowohl intime als auch repräsentative Gartenräume zu schaffen, entsprechend der Aufteilung eines großbürgerlichen Wohnhauses. Was ihm vorschwebte, war eine organische Einheit von privatem Haus und öffentlichem Park, wobei die damals viel beachtete Gartenstadt  Hellerau bei Dresden Pate stand.

Max Laeuger war ein Multitalent
Er arbeitete gleichermaßen intensiv als Grafiker, Maler und Glasmaler, Keramiker, Architekt, Innenarchitekt und Gartengestalter. Er entwarf zahlreiche kunsthandwerkliche Objekte und verfasste  einige wichtige kunstdidaktische Werke.

Bei seinem zweiten Baden-Badener Projekt stand er auf der Höhe seines Ruhms. Mit der Bebauung des Wiesenareals unterhalb des Merkur  wollte die Stadt in den wirtschaftlich schweren Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg gutsituiert Fremde anlocken. Frühere Pläne waren durch den Krieg verhindert worden und ein erster Entwurf des berühmten Architekten Richard  Riemerschmid war bereits aus Kostengründen gescheitert. Mit der Oberrheinischen Immobilien-Ag Freiburg hatte die Stadt 1925 endlich einen zahlungskräftigen Investor gefunden  - der allerdings durch das teure Gartenprojekt in die roten Zahlen geriet.

Der ursprüngliche Plan, die Kosten allein aus dem Verkauf der angrenzenden Grundstücke zu bestreiten, wollte nicht recht aufgehen, aber die Finanzierung war gesichert. 1924 konnten die Arbeiten mit der schmucken Brunnengrotte beginnen: Drei toskanischen Arkaden unterhalb der Markgrafenstraße - gewissermaßen die Ouvertüre.

Anschließend  verläuft die 1 ½ Ha große „Wasserkunst“ über die  Zeppelinstraße und die Prinz-Weimar-Straße  bis hinab zur Bernhardstraße, einen Höhenunterschied von 40 Metern überwindend. Aus einem ovalen Bassin sprudelt das Wasser über 13 krebsschwanzförmige Kaskaden – eine rhythmisch bewegte Symmetrie-Achse –  einem großem halbrunden Bassin an der Zeppelinstrasse zu. Der letzte Abschnitt besteht aus einer großen doppelläufigen Treppenanlage, deren Abschluss ein dreischaliges halbrundes Brunnenbecken an der Bernhardstraße bildet. Flankiert wird die Kaskadenachse  von zwei Wegen, geometrisch geschnittenen Heinbuchenhecken und Rosenbeten, einer Art doppeltem Korridor mit kleinen begehbaren Gartenzimmern. Schöner als dieser könnte kein Garten  liegen: Vom Dach der Brunnengrotte und beim sanften Heruntersteigen öffnet sich der Blick auf die Altstadt mit der Stiftskirche, dem neuen Schloss. Direkt vor uns erhebt sich der Friesenberg mit der Stourdza-Kapelle. Wahrhaft erhebend!

Bei der Paradies-Anlage hatte sich Laeuger, ein kenntnisreicher Freund italienischer Gärten, offenbar von den Schöpfungen des  Architekten Giacomo  Barozzi da Vignola anregen lassen, etwa von den Gärten seiner Villa Lante in Bagnaia. Auch sie folgen der Achsensymmetrie und weisen den Gebäuden eine eher rahmende Nebenrolle zu. Gerade in den italienischen Hanggärten – man denke an die der berühmten Villa d’ Este in Tivoli -, spielt sprudelndes Wasser die Hauptrolle. Ein Stückchen Italien also, im Nachklang des Jugendstil, mit dem modernen Werkstoff Beton. Ein interessanter, formal überzeugender „Stil-Garten“, der leicht wehmütig in die Vergangenheit schaut, ohne die Gegenwart zu ignorieren.

Ein wahrer Glücksfall, dass das arg lädierte „Paradies“ dem Abriss entkam und im Zuge der Landesgartenschau 1981 aus seinem Dornröschenschlaf erwachte. In der Nachkriegszeit, als in den angrenzenden Villen die russische Militärbehörde und französische Offiziersfamilien untergebracht waren,  hatte die Anlage arg gelitten;  die Sanierung des von groben Beimischstoffen durchsetzten Gussbetons erwies sich als schwieriger als erwartet. Zuletzt wurde 2008 die baufällige Grotte aufwändig instand gesetzt..

Heute entfaltet das“Paradies“ wieder seine von Laeuger intendierte  wohltuende Wirkung und macht den langsamen Abstieg zur Stadt zum Genuss.

Conrad Ferdinand Meyers vollkommenes Gedicht von 1882, das in der Mitte der Anlage auf einer Tafel prangt, entfaltet beim leisen  Plätschern des Wassers wieder seine  betörende Wirkung:

Der römische Brunnen
aufsteigt der Strahl, und fallend giesst
er voll der Marmorschale rund,
die, sich verschleiernd, überfliesst
in einer zweiten Schale Grund;
die zweite gibt, sie wird zu reich,
der dritten wallend ihre Flut,
und jede nimmt und gibt zugleich
und strömt und ruht.

Stefan Tolksdorf