Wirkt japanisch, ist aber ein Kindergarten

Es gibt Kunstwerke direkt vor unserer Haustür, die uns wenig geläufig sind. Ein gutes Beispiel dafür ist die „Katze auf der Pirsch“ des berühmten Künstlers Tomi Ungerer.

Als die FAZ kürzlich in einem Artikel kuriose und weniger bekannte architektonische Bauten in Deutschland vorstellte, fand dort auch ein Bauwerk in Karlsruhe Erwähnung. „Wirkt japanisch, ist aber ein Kindergarten in Karlsruhe“, war dort zu lesen. Gemeint war der Kindergarten in Wolfartsweier, der nach Plänen des berühmten Elsässer Künstlers Tomi Ungerer (1931-2019) realisiert wurde. Seit mittlerweile 20 Jahren spazieren hier jeden Morgen Kindergartenkinder mitten hinein in das riesige Maul einer futuristisch anmutenden Katze, die mit weit geöffneten Augen ihrer Beute auflauert.
Das damals 30 Jahre alte Kindergartengebäude war in die Jahre gekommen und wies erhebliche bauliche Mängel auf. Ein moderner Neubau sollte her, der auch pädagogischen Notwendigkeiten entsprach. Dass die Wahl auf einen Entwurf des Elsässers Tomi Ungerer (Foto) fiel, war dem Engagement des damaligen Stadtbaudirektors Lars Dragmanli zu verdanken, der Tomi Ungerer seit 1982 kannte und dessen Anliegen es war, bei „Architektur- und Kunst- am-Bau”-Projekten der Stadt Karlsruhe nicht nur deutsche, sondern auch europäische Künstler einzuladen.

So hat er sich trotz starken Gegenwindes der Stadtverwaltung mit seiner Idee, den Entwurf des Elsässers architektonisch zu realisieren, durchgesetzt – nicht zuletzt auch als Freundschaftsgeste gegenüber Frankreich. Denn Tomi Ungerer war ein Deutschland-Fan durch und durch, pflegte die deutsch-französische Freundschaft, erhielt 1992 das Bundesverdienstkreuz für sein Engagement für den kulturellen Austausch und der deutsch-französischen Verständigung und wurde im Jahr 2000 vom Europarat zum Ehrenbotschafter für Kinder und Erziehung ernannt.

Tomi Ungerer (rechts) und Lars Dragmanli

Der Bleistift wird zum Jagdgewehr

„Die größte Herausforderung für den Künstler, Cartoonist, Kinderbuchautor und Designer war es, etwas zu entwerfen, was baubar ist“, erinnert sich Dragmanli. Umgekehrt waren Bauherr und Handwerker gefragt, den Künstlerentwurf architektonisch umzusetzen. Ungerers Werk umfasst mehr als 40.000 Zeichnungen, 100 Bücher, zahlreiche Skulpturen, Grafiken und Spielzeug. Er war vor allem ein ironischer und humorvoller Beobachter der Tierwelt. Witzig, bissig, frech, skurril, ironisch und oft erotisch interpretierte er Hunde, Katzen, Frösche, Zebras, Affen und Elefanten. „Wenn ich Tiere zeichne,“ sagte er einmal, „dann wird mein Bleistift zum Jagdgewehr.“ Das mag man ihm gerne glauben, wenn man seine Katze in Wolfartsweier betrachtet. Den Kopf ganz tief in Lauerstellung, die Pfoten seitlich aufgestellt, die Augen groß und wachsam, bereit, sich die Beute zu schnappen. Die Beute, das ist ein von Ungerer gestalteter Vogel vor dem Eingang, der auf eine Schaukel montiert ist und nicht die geringste Chance hat, der Katze zu entfliehen.

„Eigentlich sollte der Kindergarten nach Tomi Ungerer benannt werden“, berichtet Dragmanli. Da eine Namensgebung jedoch erst fünf Jahre nach dem Tod einer Person erlaubt ist, hatte man sich auf die Benennung „Katze auf der Pirsch“ geeinigt. Eine Erinnerungstafel weist vor Ort auf Tomi Ungerer als Konstrukteur und auf ein Europa ohne Grenzen hin.
Ungerer, bekannt für seinen feinsinnigen Humor und seine ironischen Seitenhiebe, sagte bei der Eröffnung 2002 im Beisein des damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel: „Ich bin unendlich glücklich und dankbar, einmal Architekt sein zu dürfen.“ Wohlwissend, dass das Gebäude weniger als architektonisches Meisterwerk, denn als Kunstwerk betrachtet werden würde und sollte. „Als begehbare Skulptur, in der zufällig ein Kindergarten untergebracht ist“, wie der ehemalige Stadtbaudirektor es ausdrückt. Alle am Projekt Beteiligten waren sich einig: „Entscheidend ist, was mit der Architektur ausgedrückt werden soll, weniger die Architektur selbst“, blickt Dragmanli zurück.

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Auf dem Katzenschwanz ins Freie rutschen

Über viele Wochen hinweg traf man sich in der Planungsphase immer wieder und beriet sich, wie Ungerers Entwurf optimal baulich umzusetzen war. Gemeinsam mit dem beauftragten Architekturbüro „Yöndel.Zimmerlin” überlegte man, ob der Buckel rund oder flach sein sollte, wie lang die Tatzen werden und welchen Durchmesser die runden Fenster, die die Augen symbolisieren, haben können. Tomi Ungerer kam auf die Idee, den Schwanz der Katze zur Rutsche zu machen, über die die Kinder vom oberen Stockwerk ins Freie rutschen können.

Eines der Barthaare des Katzenmauls befördert als Wasserspeier den Regen von der untergehängten Rinne zur Seite. Die Begrünung des Daches symbolisiert das Katzenfell. Licht kommt über die Katzenaugen an der Frontseite und über die Ohren ins Innere des Gebäudes. In den Pfoten, Augen und Ohren sind Nischen untergebracht, in denen die Kinder spielen können. In den Pfoten befinden sich die Liegeflächen zum Ausruhen, da dort kein Tageslicht hineinfällt.

„Flugkatze“, „Boxkatze“ und „Gefräßige Katze“ hießen Entwürfe des Künstlers, die als kindshohe Figuren in den Fluren des Kindergartens aufgestellt werden sollten. Doch Tomi Ungerer sei damals gesundheitlich schon sehr angeschlagen gewesen, berichtet der Architekt Dragmanli. Deshalb kam es nicht mehr zur Ausführung. Zumal sich der Elsässer ohnehin hauptsächlich beim Entwurf der Gebäudehülle austobte und weniger im Innenraum. Ihn interessierte das Wesen der Katze. Die Karlsruher Majolika Manufaktur hatte außerdem einen Katzenkopf als Kerzenständer passend zum Architektur-Entwurf hergestellt.
„Die Toilettenschüsseln des alten Kindergartens haben wir damals übrigens Tomi Ungerer geschenkt“, erinnert sich Dragmanli. „Er wollte daraus ein Kunstwerk machen.“

Ariane Lindemann

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