Spazieren unter dem Rhein

Kann der Besuch eines Kraftwerks erlebnisreicher sein? Wohl kaum: Eine Führung durch das Laufwasserkraftwerk Iffezheim verbindet Technik mit Geschichte sowie Fischkunde

Schon beim Eintritt in das Treppenhaus ist ein durchdringendes Dröhnen zu vernehmen. An grauen Betonwänden entlang geht es Stufe um Stufe hinab. Das Dröhnen wird immer lauter, je näher das Ziel des Fußmarsches in etwa 30 Metern Tiefe rückt. Dort angekommen, löst ein hallenartiger Raum die Enge des Treppenhauses ab – und der Blick fällt auf eine gewaltige Metallkonstruktion, die zwischen zwei hohen Wänden eingelassen ist. Sie erinnert ein wenig an ein zusammengedrücktes Staubsaugerrohr, nur dass sie sich an einer Seite ausbreitet wie eine Blumenblüte bei Sonnenschein. Im Innern dieses Stahlmantels dreht sich ohne Unterlass das Laufrad von Turbine Nummer fünf des Rheinkraftwerks Iffezheim. 6,8 Meter Durchmesser hat der Koloss und produziert gemeinsam mit fünf weiteren, kleineren Turbinen etwa 870 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr. „Das reicht zur Versorgung von mehr als 500.000 Menschen“, verdeutlicht Ruth Siamos, Teamleiterin Infocenter bei der EnBW, und fügt hinzu: „Wer hier war, kann sagen: Ich bin trockenen Fußes unter dem Rhein durchgelaufen.“

Siamos führt regelmäßig Besucher durch rund ein Dutzend verschiedener Anlagen des Energieversorgers. Der Iffezheimer Komplex samt Staustufe, Kraftwerk, Schleuse und Fischpass sei aber auch ihr liebstes Besichtigungsziel. Besonders wegen der unvergleichlichen Möglichkeit, unter den Rhein zu gelangen. Denn – auch wenn hier jeder trockenen Fußes die kolossale Konstruktion der Turbine Nummer fünf bewundern und ihre unermüdliche Arbeit erahnen kann: Über die Köpfe donnern jede Sekunde Zehntausende Liter Wasser hinweg. In den Rhein verbauter Stahl und Beton trennen die Besucher von diesen Wassermassen. In Nicht-Corona-Zeiten machen sich bis zu 8.000 Interessierte im Jahr zu den Besuchertouren ins Kraftwerk auf. Dabei erfahren sie nicht nur viel über Generatoren und Turbinen, sondern auch noch Wissenswertes zu Geschichte und Fischkunde – und sie erleben die Kraft des Wassers mit eigenen Augen.

Symbol deutsch-französischer Aussöhnung

Stunde um Stunde rauscht der Verkehr auf der B 500 bei Iffezheim über den Rhein nach Frankreich und kommt dabei automatisch an der Staustufe vorbei. Aber um welch außergewöhnliche Anlage es sich dabei handelt, erschließt sich erst bei einem Besuch. Denn dahinter verbergen sich die größte Binnenschleuse Europas, ein Wehr, einer der größten Fischpässe Europas und das größte Laufwasserkraftwerk in Deutschland. Auch in Europa gehört das Wasserkraftwerk zu den größten seiner Art. Es ist das zehnte und letzte Kraftwerk im Oberrhein zwischen Basel und Karlsruhe. Zusammen erzeugen sie jährlich rund neun Milliarden Kilowattstunden regenerativen Stroms. Die Geschichte all dieser Anlagen geht im Grunde bis zur Rheinbegradigung unter Johann Gottfried Tulla ab 1817 zurück. Beim zuvor stark mäandernden Fluss ging das begradigte und verkürzte Flussbett mit einem deutlich größeren Gefälle von 130 Metern allein zwischen Basel und Karlsruhe einher. Die daraus resultierende viel stärkere Strömung der neuen Wasserautobahn führte dazu, dass der Rhein seine Sohle auswusch, das Flussbett und dadurch ebenfalls der Grundwasserspiegel absanken. Unter anderem um dies zu regulieren, wurden die Staustufen errichtet. Sie sorgen dafür, dass das Gefälle nicht mehr so stark ist und es nicht zu Auswaschungen im Flussbett kommt. Zugleich wurden die Staustufen zur Energieerzeugung herangezogen – von den Franzosen. Der Versailler Vertrag von 1919 sprach Frankreich das alleinige Recht zu, das Wasserkraftpotenzial des Rheins zu nutzen. Bis 1970 baute das Nachbarland acht Staustufen und Wasserkraftwerke, die vom französischen Energiekonzern EDF betrieben werden. „Doch im Zuge der von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer eingeleiteten Versöhnung entschieden sich die Franzosen bei den folgenden Projekten, Gambsheim und Iffezheim, zur Zusammenarbeit mit Deutschland“, berichtet Ruth Siamos. Die beiden Kraftwerke werden von Tochtergesellschaften von EDF und EnBW betrieben. Siamos nennt das Rheinkraftwerk Iffezheim daher „auch ein friedenstiftendes Symbol für eine gelebte EU“.

Neben der Historie führt sie den Besuchern aber natürlich vor allem die ausgeklügelte Technik der Anlage vor Augen. 1978 ging das Kraftwerk mit vier baugleichen Rohrturbinen an den Start. 2013 kam die fünfte und größte Turbine hinzu. Außerdem erzeugt seit dem Jahr 2000 noch eine weitere kleine Rohrturbine beim Fischpass elektrischen Strom. Pro Sekunde fließen im Schnitt 1.500 Kubikmeter (oder 1.500.000 Liter) Wasser durch die sechs Turbinen. Das Wasser wird dabei mit Hilfe von Leitschaufeln so gelenkt, dass es in einem optimalen Winkel auf das jeweilige Laufrad trifft und den maximalen Ertrag für die Stromerzeugung erzielt. Die Wasserlenkung ist ebenfalls nötig, um den natürlichen Abfluss des Rheins auch bei Niedrig- oder Hochwasser so auszugleichen, dass der Schiffsverkehr mit pro Jahr 40.000 passierenden Schiffen gewährleistet ist. „Die Wasserführung hat immer oberste Priorität“, betont Siamos.

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Das Rheinkraftwerk läuft vollautomatisch und wird wie die anderen neun Kraftwerke der Oberrheinkette von einer Steuerzentrale der EDF in Kembs überwacht und gesteuert. Vorort arbeiten in aller Regel zehn Schlosser und Elektriker von EnBW. Sie kümmern sich auch um die bis zu 2.000 Kubikmeter Treibgut, die im Jahr an den Einlaufrechen des Kraftwerks anlanden und mit einer Rechenreinigungsmaschine sowie Kränen aus dem Rhein gefischt werden. „Das Exotischste darunter war mal eine riesengroße Papiertrommel mit dem peruanischen Wasserzeichen“, erinnert sich Siamos. „Neben Holz schwimmt auch viel Plastik im Rhein“, erläutert sie. „Und immer sind Bälle sowie Schuhe dabei.“ Der Müll wird auf Kosten der EnBW entsorgt.

Die Kraft des Wassers

Vor dem Wehr bilden sich an etlichen Stellen Strudel. „Vor diesem Anblick verweilen die Besucher immer am längsten“, erläutert die Infocenter-Leiterin. Mit etwas Geduld lässt sich tatsächlich beobachten, wie selbst meterlange dicke Äste von der Kraft des Wassers in die Tiefe gezogen werden – auch kein Schwimmer könnte dem Sog lange widerstehen. Zum Schluss einer Besichtigungstour geht es wieder in die Tiefe, diesmal aber nur ein paar Stufen zu einer Art Fische-TV. In einem Raum neben dem Fischpass ist eine Scheibe eingebracht. Wer Glück hat, sieht Brassen, Lachse oder Rotaugen vorbeischwimmen. „Im Rhein gibt es sogar Aale, Welse und Neunaugen, die schon seit 500 Millionen Jahren die Erde bevölkern“, sagt Siamos. Beim Verlassen der Anlage weist die Besichtigungsleiterin noch auf Markierungen im Betonboden hin. Dort können tonnenschwere Metallplatten eingelassen werden, um die Maschinenkammern trocken zu legen. In regelmäßigen Abständen werden die Turbinen gewartet. Dabei kommen auch Spezialgerüste von entsprechenden Handwerksbetrieben aus der Region zum Einsatz. Mehr als 40 Jahre haben die ältesten Turbinen des Iffezheimer Kraftwerks bereits auf dem Buckel – aber die letzte Runde im Rhein ist damit längst noch nicht gedreht. „Auf mindestens 80 Betriebsjahre sind sie ausgelegt“, betont Ruth Siamos.

Christoph Ertz

enbw.com

Info Laufwasserkraftwerk:
Laufwasserkraftwerke werden im Gegensatz zu Speicher- oder Pumpspeicherkraftwerken an Orten eingesetzt, an welchen keine besonders hohen Fallhöhen vorliegen, jedoch ein großer Durchfluss vorhanden ist.