Maßschuh per 3D-Drucker

Die Baden-Badener Schuhmanufaktur Vickermann und Stoya verbindet alte Handwerkskunst mit digitaler Innovation

„Schuster, bleib bei Deinem Leisten!“ Diese Mahnung zur Bewahrung der Tradition und Zurückhaltung bei Innovationen haben Matthias Vickermann und Martin Stoya seit nunmehr 17 Jahren sehr eigenwillig interpretiert – und zwar äußerst erfolgreich. Die Baden-Badener Schuh-Manufaktur fühlt sich einerseits dem Handwerk mit höchstem Qualitätsanspruch verpflichtet, geht aber andererseits immer wieder neue Wege in Sachen Fußbekleidung. Die Handwerkskammer Karlsruhe belohnte diesen Mut zur konsequenten Weiterentwicklung eines alten Handwerks im vergangenen Jahr mit dem Seifriz-Preis für „innovative Produkte und Leistungen, die durch Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Handwerkern zur Marktreife gebracht wurden“, wie es in der Begründung der bundesweit ausgelobten Auszeichnung heißt.

In einer Zeit, in der Billigschuhwerk den Markt überschwemmt und nur zu bald in der Abfalltonne landet, wirkt der Begriff „Maßschuh“ fast schon ein wenig aus eben dieser Zeit gefallen. Irrtum – zumindest aus der Perspektive der Schuhmacher aus Leidenschaft, deren Baden-Badener Werkstatt in guten Jahren täglich ein Paar in Handarbeit aus hochwertigstem Material gefertigter Maßschuhe verlässt. Mit rund 3.000 Euro nicht gerade ein Schnäppchen, unter den Aspekten der Fußgesundheit und Nachhaltigkeit aber für ihre Kunden eine Investition in Sachen Lebensqualität.
Zum korrekten Business-Outfit ist ein Billigschuh ein absolutes No-go. Für ein erfolgreiches Auftreten lohnt sich die Investition in gutes Schuhwerk – und das kann sogar in Maßarbeit gefertigt und trotzdem erheblich günstiger sein. Maßschuh per App: Auf diese Kurzform lässt sich die preisgekrönte Innovation, die bahnbrechend für die Zukunft des Traditionshandwerks sein könnte, bringen.

Maßanfertigung per App

Basis jeder maßgearbeiteten Fußbekleidung ist der individuell gefertigte Leisten, der alle Krümmungen, Verformungen, Hammerzehen oder Fersensporne berücksichtigt. Zwei junge Programmierer tüftelten jahrelang an der Digitalisierung des dafür benötigten aufwändigen Messverfahrens. In Martin Stoya fanden Philipp Jahn und Milad Mafi nach langer Suche unter den deutschen Meisterbetrieben einen begeisterten Wegbegleiter, der sein in Jahrzehnten erworbenes Wissen um die hohe Kunst der Maßschuhfertigung in das Projekt Maßschuh per 3D-Drucker einbrachte. Die von ihnen entwickelte App übermittelt die Daten des vom Kunden per Smartphone fotografierten Fußes an den Rechner als Basis der Software für die Schuhfabrik. Der Kunde wählt zuvor individuell Materialien, Farben und Ziernähte aus und hat nach wenigen Wochen seinen Maßschuh in Händen, beziehungsweise an den Füßen.

Der von Jahn und Mafi  in Hannover gegründeten Firma „Modum Shoes” steht die Baden-Badener Traditionswerkstatt als Partner zur Seite, ohne aber selbst den vor 17 Jahren eingeschlagenen Weg der Präzision in Handarbeit für ihre ausgewählte Klientel zu verlassen. Mit rund 500 Euro sind diese Maßschuhe nicht viel teurer als manches im Geschäft gekaufte Paar.

Ein Herz für Schuhe

Einen Preis – und zwar für Nachhaltigkeit – hätte auch ein weiteres Internet-Projekt von Vickermann und Stoya verdient: Strapazierte Treter nicht einfach wegwerfen, sondern fachmännisch reparieren lassen, lautet das Rezept von „Shoedoc” – und zwar nicht nur für „Patienten“ aus der Region. Aus ganz Deutschland treffen täglich Pakete mit Schuhen ein, die neue Sohlen, Absätze oder Spitzen benötigen, denn es gibt in Deutschland nicht mehr viele Betriebe, die Reparaturen auf hohem Niveau anbieten. Im Internet kann der Kunde sein elegantes Paket mit allem Versandzubehör aus Baden-Baden ordern, die Schuhe einpacken, auf den Weg schicken und sich auf ihre Rückkehr in wenigen Tagen freuen – oft fast wie neu. „Wir haben ein Herz für Schuhe“, betonen Vickermann und Stoya, die Bilder ihrer „Patienten“ auch gern ins Netz stellen.

Apropos Nachhaltigkeit: Wer lange etwas von seinen Schuhen haben will, muss sie pflegen und zwar gezielt und individuell. Die Schuhputzkurse, die Matthias Vickermann seit Jahren auf Kreuzfahrtschiffen ebenso wie in Luxushotels oder der eigenen Werkstatt anbietet, hält er wegen Corona jetzt online – beispielsweise für das Personal von Edelherbergen, wo der Service der nächtlichen Schuhreinigung noch gepflegt wird. Wer hätte gedacht, dass die hohe Kunst vom Umgang mit Bürste, Tuch und Creme so viel Spaß machen kann ...

Irene Schröder

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