Naturkundemuseum Karlsruhe

Gespräch mit Direktor Professor Norbert Lenz über das riesige Meerwasser-Aquarium mit dem größten lebenden Korallenriff Deutschlands und zwei Haien, Forschung und Bildungsauftrag

Das Staatliche Museum für Naturkunde Karlsruhe zählt nicht nur zu den ältesten Naturkundemuseen Deutschlands, sondern weltweit, was selbst in Karlsruhe vielen nicht bewusst ist. Basis der naturkundlichen Sammlungen war das Naturalienkabinett der badischen Markgrafen. Markgräfin Karoline Luise hatte ein besonders starkes Interesse an der Naturkunde und zwei Jahre nach ihrem Tod wurde 1785 Karl Christian Gmelin mit der Leitung der Sammlungen beauftragt, die er ausbaute und öffentlich zugänglich machte. Damit ist das Karlsruher Naturkundemuseum älter als das 1793 eröffnete Naturhistorische Museum in Paris.

Die naturwissenschaftlichen Sammlungen in Berlin wurden 1810 im Zuge der Eröffnung der Berliner Universität zusammengefasst, und als Vorläufer des Senckenberg Naturmuseums in Frankfurt gilt ein 1821 gegründetes Naturalienkabinett. Älter als das Karlsruher Naturkundemuseum ist aber das Staatliche Naturhistorische Museum in Braunschweig, das 1754 als Herzogliches Kunst- und Naturalienkabinett eröffnet wurde.

Die Sammlungen des Karlsruher Naturkundemuseums umfassen knapp zehn Millionen Objekte. Das ist erste Liga der Naturkundemuseen Deutschlands, mit seinem Angebot auf 5.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche steht Karlsruhe ganz weit vorne.

REPORT sprach mit dem Direktor des Naturkundemuseums, Professor Norbert Lenz.

Warum ist gerade in Zeiten einer Krise ein Museum wie das Naturkundemuseum in Karlsruhe von so großer Bedeutung?
Professor Norbert Lenz: In der Geschichte des Lebens auf der Erde hat es immer wieder krisenhafte Zeiträume gegeben: vom Populationseinbruch über Epidemien und Pandemien bis hin zu globalen Massenausster-beereignissen. Eine Institution wie das Naturkundemuseum Karlsruhe hat daher gerade in Zeiten einer Krise eine große Bedeutung als Kompetenz- und Dialogzentrum für die Gesellschaft, das dadurch auch wertvolle Beiträge zur Versachlichung von Diskussionen leisten kann.

Der Bildungsauftrag des Naturkundemuseums ist ja unschätzbar, sehen Sie sich als nahtlose Ergänzung zu Schule und Hochschule?
Lenz: In der Tat erfüllen wir als außerschulischer und außeruniversitärer Bildungsort eine überaus wichtige Funktion, wobei der Spaß beim Museumsbesuch nie zu kurz kommen sollte. Die Vermittlung von Artenkenntnissen spielte jahrzehntelang an Schulen und Hochschulen nur noch eine untergeordnete Rolle. Wenn Lehrerinnen und Lehrer diese Formenkenntnis nicht während ihres Studiums erwerben, können sie Schülerinnen und Schülern später auch keine Artenkenntnisse vermitteln und keine Liebe zur Natur, sofern noch vorhanden. Das Naturkundemuseum erfüllt also Funktionen, bei denen Schulen und Hochschulen früher aktiver waren. Diese Fehlentwicklung ist aber inzwischen von einigen erkannt worden, sodass nun versucht wird, die entstandene Lücke in der Bildungskette zu schließen.

Welche Rolle spielt die Forschung für Ihr Haus?
Lenz: Das Naturkundemuseum Karlsruhe bezeichnet sich als „Bio- und Geowissenschaftliches Schau- und Forschungsmuseum“. Wir sind beides: ein Schaumuseum, das in Dauer- und Sonderausstellungen sowie den unterschiedlichsten Veranstaltungsformaten Vermittlungsarbeit leistet, aber auch ein Forschungsmuseum, das aktiv in der Forschung tätig ist, vielfach basierend auf den Sammlungen des Hauses, aber auch durch Freilandforschung in diversen Fachrichtungen der Bio- und Geowissenschaften. Die Bandbreite dabei ist beachtlich: Einer unserer Zoologen untersucht die Spinnenfauna im Nationalpark Schwarzwald und deren Ökologie, einer unserer Entomologen erforscht die Evolution einer artenreichen Rüsselkäfer-Gattung im Indo-Australischen Archipel, unser Paläontologe befasst sich mit der Abstammungsgeschichte und der Biomechanik von Wirbeltieren. Ohne aktive Forschungsarbeit wäre ein Naturkundemuseum „tot“. Wichtig ist mir eine gute Balance zwischen Schau- und Forschungsmuseum. Die Forschung ist kein Selbstzweck, sondern auch mit einem Mehrwert für unser Publikum verbunden.

Was viele Menschen nicht wissen, im Naturkundemuseum gibt es auch viele lebende Tiere, wo ist die Abgrenzung zum Zoo?
Lenz: Unser Stammpublikum weiß natürlich, dass es bei uns auch lebende Exponate – Tiere und Pflanzen – gibt. Das Vivarium hat eine bereits Jahrzehnte währende Tradition hier im Haus, wobei die Auswahl der gezeigten Tiere und Pflanzen keineswegs zufällig ist. Vielmehr erfüllen die lebenden Exponate wichtige inhaltliche Funktionen in unseren Dauerausstellungen. Beim Thema „Klima und Lebensräume“ geht es um die Zusammenhänge von Klimazonen mit verschiedenen Lebensräumen und ihrer jeweiligen Flora und Fauna und bei „Form und Funktion – Vorbild Natur“ um den Zusammenhang zwischen der Form oder Gestalt von Organismen und ihrem Funktionieren. Derart komplexe Themen finden Sie nicht in einem Zoo. Wir pflegen aber eine sehr gute Nachbarschaft und Partnerschaft mit dem Zoologischen Stadtgarten Karlsruhe und unterstützen uns gegenseitig. Thematische Überschneidungen gibt es kaum. So gibt es im Zoo keine Meerwasser-Aquaristik und bei uns im Museum nur sehr selten lebende Säugetiere – und wenn, dann ganz kleine.

Der Artenverlust ist dramatisch, gehen wir mit den Umweltproblemen bewusster um, wenn wir die Zusammenhänge verstehen und Hintergründe bei Ihnen im Haus lernen?
Lenz: Ich glaube schon. Seit Beginn meiner Tätigkeit als Direktor des Naturkundemuseums habe ich stets versucht, mit einem abwechslungsreichen Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm möglichst alle Generationen und Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Zu vermitteln, dass die biologische Vielfalt der Erde stark gefährdet ist, war mir dabei stets ein wichtiges Anliegen. So habe ich in der von mir kuratierten Sonderausstellung „Madagaskar – eine vergessene Welt“ den Naturreichtum dieser im Indischen Ozean gelegenen Tropeninsel präsentiert, der durch Brandrodung und Erosion massiv gefährdet ist: Über 90 Prozent der natürlichen Vegetation sind bereits zerstört. In der Ausstellung „Von Schmetterlingen und Donnerdrachen – Natur und Kultur in Bhutan“ habe ich dargestellt, dass es auch Länder gibt, in denen der Umgang mit Natur ganz anders aussieht. Die Gefährdung der Natur vor der eigenen Haustür schließlich ist Thema unserer Dauerausstellungen, aber auch vieler Vortragsveranstaltungen, die das Museum gemeinsam mit dem Naturwissenschaftlichen Verein Karlsruhe organisiert.

Fühlen Sie sich von der Politik und der Öffentlichkeit ausreichend unterstützt oder wo sehen Sie Defizite?
Lenz: Der Förderverein „Freunde des Naturkundemuseums Karlsruhe“ wächst kontinuierlich und ist eine wichtige Stütze des Museums. Als rund um den 300. Geburtstag der Stadt Karlsruhe 2015 der im Krieg zerstörte Westflügel unseres Hauptgebäudes wiederhergestellt wurde, haben wir besonders viele Zuwendungen aus der Öffentlichkeit erhalten: von Kleinspenden bis zu großen Zuwendungen. So haben die Karlsruher Rotary-Clubs neue Räumlichkeiten für die museumspädagogischen Angebote finanziert. Insgesamt aber ist das Thema Naturkunde mitsamt der damit verbundenen Zukunftsfragen der Menschheit bei der Politik noch immer nur teilweise angekommen. Während bei Kunst und Kultur, die mir ebenfalls sehr wichtig sind, die Politik selten spart, spielt der Schutz des naturkundlichen Erbes weiterhin nur eine untergeordnete Rolle. Auch in unser Gebäude wird viel weniger investiert als in Bauten für die Kunst.

Wenn Sie Jemandem in einem fernen Land, weit weg von Karlsruhe, die drei wichtigsten Attraktionen des Naturkundemuseums erklären müssten, welche wären das?
Lenz: Die bei unserem Publikum beliebteste Attraktion ist sicherlich das 240.000 Liter fassende Großaquarium in der Dauerausstellung „Form und Funktion – Vorbild Natur“ mit dem größten lebenden Korallenriff Deutschlands, über 100 verschiedenen Steinkorallen und zwei Schwarzspitzen-Riffhaien. An zweiter Stelle würde ich gern die lebensgroße Nachbildung eines Pterosauriers der Gattung Hatzegopteryx nennen, mit einer Spannweite von zwölf Metern. Schließlich ist auch das Museumsgebäude selbst eine Attraktion. In den 1870er Jahren erfolgte der Umzug des Naturkundemuseums in den heutigen Standort am Karlsruher Friedrichsplatz, einem klassischen Museumsbau des 19. Jahrhunderts. Dies verschafft dem Museum eine ganz besondere Atmosphäre!

Horst Koppelstätter

smnk.de

Digitale Angebote

Schon vor der Pandemie war das Karlsruher Naturkundemuseum im Bereich der Digitalisierung sehr aktiv. Dabei stand zunächst die Erschließung der Sammlungen und von Forschungsdaten im Mittelpunkt, auch einen Live-Stream in das Korallenriff-Großaquarium gab es schon. Seit der ersten Schließung des Besucherbetriebs im März 2020 wurden die digitalen Angebote für das Publikum stark ausgebaut. Ein wichtiger Baustein im Bereich der Partizipation ist das Format „Nachgefragt“. Hier haben Interessierte die Möglichkeit, Fragen zum Museum oder zu naturkundlichen Themen zu stellen, die nach Rücksprache mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Form von Video- oder Textbeiträgen beantwortet werden.

Passend zu den Themen der Dauer- und Sonderausstellungen oder zu aktuellen Anlässen werden im Format „Mitgemacht“ Aktionen oder Angebote wie Bastelanleitungen oder Experimente für Kinder und Erwachsene erarbeitet und zur Verfügung gestellt. Im Format „Live dabei“ können sich alle Interessierten über den Instagram-Kanal durch Dauer- und Sonderausstellungen des Museums führen lassen. Für diejenigen, die nicht live dabei sein konnten, stehen die Videos auf dem YouTube-Kanal zur Verfügung. Das Format „Tierische Geschichten“ bietet Blicke hinter die Kulissen des Vivariums, ein sehr beliebter Bereich des Museums.

In den Rubriken „Mahlzeit!“ und „Kinderstube“ werden Interviews mit Tierpflegern des Vivariums zu beliebten Besucherfragen durchgeführt, zu Themen wie „Wer frisst was?“ und „Nachzucht“. Seit Beginn der Pandemie erfolgen auch Ausstellungseröffnungen online.

Alle digitalen Angebote des Museums auf der Website: www.smnk.de

Highlights im Naturkundemuseum 2022
Im Jahr 2022 soll bis in den Sommer eine Große Landesausstellung präsentiert werden, die im November 2021 eröffnet wird. Sie hat den Titel „Neobiota – Natur im Wandel“. Es geht um Tiere, Pflanzen und andere Organismen, die durch den Klimawandel, aber auch als Resultat der Globalisierung, im Oberrheingebiet „gelandet“ sind. Einige Arten sind durchaus attraktiv, wie der farbenprächtige Bienenfresser aus Südeuropa, andere eher lästig, wie einige eingeschleppte Insektenarten, wieder andere können heimische Arten verdrängen oder Krankheiten übertragen. Das Naturkundemuseum möchte der Öffentlichkeit hier einen Überblick vermitteln. Wenn alles klappt, folgt im Oktober 2022 eine Große Sonderausstellung mit dem Titel „Sehen, Hören, Fühlen, Riechen – Naturkunde mit allen Sinnen“, mit der das Museum sehenden, sehbehinderten, hörenden und hörbehinderten Besucherinnen und Besuchern zielgruppengerecht Details zu naturkundlichen Themen vermitteln möchte.