Wieviel Handwerk steckt in der Kunst?

Der Künstler Stephan Balkenhol im Gespräch mit dem Präsidenten der Handwerkskammer Karlsruhe, Joachim Wohlfeil

Kunst und Handwerk, Handwerk und Kunst. Herr Professor Balkenhol, wieviel Handwerk ist für Ihre Kunst wichtig?

Balkenhol: So viel wie möglich. Ich schätze das Handwerk sehr und habe in meiner Studienzeit an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg viele handwerkliche Fertigkeiten erlernt. Eine Tischlerausbildung, Metallverarbeitung wie Schweißen und Löten, oder auch Buchbinden. Damals wusste ich noch nicht, wofür ich das einmal bauche. Aber heute hilft mir das sehr. Ich weiß, mit welchem Material wie was zu machen geht. Andererseits lässt sich Kunst nicht unter handwerklichen Gesichtspunkten beurteilen. Eine schlecht geschweißte Stahlskulptur kann dennoch große Kunst sein. Jeder Künstler muss sich seine eigene Handwerklichkeit erarbeiten.

Und was sagt der Handwerkskammerpräsident, wie viel Kunst braucht man für gutes Handwerk?

Wohlfeil: Es sind Kreativität, Phantasie und Ideen, die ein guter, erfolgreicher Handwerker braucht. Es ist sicher nicht Kunst im engen Sinne, aber die Begriffe passen schon zusammen. Davon profitiert der Kunde. Übrigens, ein Schreiner von uns hat bei Ihnen, Herr Professor Balkenhol, ein Praktikum gemacht und bringt dieses Wissen nun in seinem Betrieb ein.

Und wie ist es mit den Materialien? Warum spielt Holz eine so große Rolle bei Ihnen?

Balkenhol: Material ist wichtig, ist aber auch eine Temperamentsfrage. Ich bin ein Bildhauer, der gerne mit festem Material arbeitet. Holz ist ja ein Material, von dem ich etwas wegnehme und mich langsam an die Form herantaste. Umgekehrt ist Plastik, bei der ich mit Nichts anfange und mit Ton, Wachs oder Gips die Form aufbaue. Holz ist relativ einfach verfügbar, ich kann alles selbst bewältigen. Ich brauche keine Assistenten oder riesige Maschinen. Das ist Freiheit für mich beim Arbeiten. Holz wirkt auch nicht so wichtig wie Bronze oder Stein. Holz ist lebendig und vergänglich. Ich verwende oft nachhaltig angebautes afrikanisches Holz, aber auch heimische Hölzer wie Pappel, Buche, Eiche, Birke. Holz eignet sich auch für die Bemalung sehr gut.

Wohlfeil: Wie bekommen Sie eigentlich die perfekten Proportionen der Figuren hin?

Balkenhol: Das ist Anschauung, Studium, Proportionslehre und sicher auch ein Stück Gefühl.

Die zwei Skulpturen von Stephan Balkenhol in der Handwerkskammer Karlsruhe sind ja sehr präsent. Was gibt es für Reaktionen der Besucher und der Mitarbeiter und wie ist Ihre persönliche Reaktion?

Wohlfeil: Ich komme fast täglich an den Skulpturen vorbei. ... Ich selbst entdecke immer wieder mal etwas Neues an ihnen. Wenn ich unten bei uns in der Kammer im Forum stehe, ist das plötzlich eine ganz andere Perspektive. Die Wirkung des Kunstwerkes hängt übrigens manchmal mit der eigenen Stimmung zusammen. Das höre ich auch von anderen Menschen. Wir sind auch stolz darauf, dass wir Kunstwerke dieses berühmten Künstlers haben. Die Kunstwerke ziehen sogar Besucher an bei Stadtführungen. Leute wollen die Balkenhol-Arbeiten sehen.

Balkenhol: Skulpturen sind aktueller denn je. Das ist nicht überholt.


Was löst es bei Ihnen aus, wenn Sie Ihre Arbeiten im öffentlichen Raum nach Jahren wiedersehen?

Balkenhol: Meine Kunstwerke sind ein bisschen wie meine Kinder, da ist viel von mir drin. Auch beim Zeitfaktor ist es wie bei den Kindern. Mein ältester Sohn ist 29, ich kann mich gar nicht mehr an alle Details erinnern, wie er als Baby war, und wenn ich so eine 30 Jahre alte Skulptur von mir sehe, ist das ein ähnliches Gefühl.

Suchen Sie den Dialog mit den Leuten, die Ihre Skulpturen kaufen?

Balkenhol: Das ist schon wichtig, gerade im öffentlichen Raum, da tritt die Skulptur immer ins Verhältnis zu ihrer Umgebung. Das eine befruchtet das andere. Und dieser Dialog ist wichtig.

Wohlfeil: Wie kam es zur großen Skulptur vor dem Springer Haus in Berlin? Gibt es da Vorgaben in so einem Falle?

Balkenhol: Ich habe den Auftrag bekommen, und dieses Thema „Balanceakt“ entwickelt, da gibt es keine Vorgaben. Oder hier auf dem Foto sehen Sie eine Arbeit auf dem Forum Romanum in Rom. Ich habe diesen sechs Meter hohen Torso aus Holz geschaffen.

Sechs Meter hoch ... also Größe spielt schon eine Rolle ... ?

Balkenhol: ... klar, an bestimmten Orten ist das sehr wichtig.

Was hat sich durch Corona verändert für die Kunst aus Ihrer Sicht?

Balkenhol: Kommerziell gab es harte Einschnitte für die Galerien, weil ja auch die Messen weggefallen sind. Für mich persönlich hat sich nicht viel verändert. Es war ruhiger, weniger betriebsam, da konnte ich auch konzentrierter arbeiten. Ich hoffe auch auf positive Effekte. Der Kunstmarkt hat so hochgedreht. Vielleicht legt sich das. Die Leute sind veranlasst, direkt zu den Kunstwerken hinzugehen. Eine Berliner Galerie macht jetzt alles nur physisch, es wird nichts online gestellt. Das Schnelllebige war doch sehr stark ausgeprägt. Man merkt oft erst dann, dass einem etwas wichtig ist, wenn es einem genommen wird. Das gilt auch für Einschränkungen wie Reisefreiheit oder Museumsbesuche.

Wie ist Ihre Beziehung zu Karlsruhe entstanden?

Balkenhol: Durch die Professur Anfang der 90er Jahre. Ich schätze Karlsruhe sehr. Das ist keine Riesenmetropole, sondern eher mittelgroß, aber mit allen kulturellen Angeboten. Hier ist eine höhere Lebensqualität. Geografisch liegt Karlsruhe auch sehr gut.

Warum ist es eigentlich wichtig, dass eine Institution wie die Handwerkskammer Kunst zeigt?

Wohlfeil: Unsere Skulpturen wurden 1998 erworben und haben eine große Ausstrahlung. Es ist eine Wertschätzung an den Künstler und das Handwerk.

Balkenhol: ... ein Denkmal für den Handwerker ...

Wohlfeil: ... es war sicherlich ausgelöst durch die Tätigkeit von Professor Balkenhol an der Kunstakademie Karlsruhe. Handwerk ist beständig, Holz lebt, ist langlebig und ist doch auch vergänglich.

Wie wichtig ist Deutschland-Frankreich für Sie? Sie leben ja in beiden Welten?

Balkenhol: Enorm wichtig. Das hat sich ja grandios entwickelt. Beide Länder sind wie zwei Geschwister, jeder hat seinen eigenen Charakter, seine Vorlieben. Man ist verwandt. Es kann kommen, was will. Wir sind nicht auseinanderzubringen. Die Grenzschließung war ein großer Schock. Das darf nicht wieder passieren. Natürlich bin ich Deutscher, aber jeder in Europa hat etwas, was er dem anderen geben kann. Das ist ein großer Schatz, der Europa ausmacht. Ich ziehe mir übrigens oft das Beste aus allen Kulturen heraus.

Wohlfeil: Sie haben vorhin gesagt, Ihre Kunstwerke sind wie Ihre Kinder. Haben Sie die beiden Skulpturen in der Handwerkskammer schon besucht?

Balkenhol: Ja, schon mehrfach. Und ich sehe sie auch immer durch die Fenster, die eine Skulptur steht ja ganz vorne. Da freue ich mich jedesmal drüber, ganz klar!

Das Gespräch führte Horst Koppelstätter

Der Handwerker

Der langjährige Rektor der Karlsruher Kunstakademie, Professor Andreas Franzke, über Stephan Balkenhols Arbeiten in der Handwerkskammer: „Als „Repräsentant“ einer vom Künstler eigens für die Handwerkskammer Karlsruhe geschaffenen Figurengruppe wird der Besucher beim Eintritt in das Gebäude von einem idealen Handwerker mit einem Hammer in seiner Hand „begrüßt“. Die Figur mit weißem Hemd und schwarzer Hose zieht den Blick so unmittelbar an, wirkt sie doch wie aus dem Alltag auf ihren ungewöhnlichen Sockel versetzt, vieldeutig im Ausdruck und in der Positur, auf den ersten Blick mehr Abbild eines Menschen als Statue auf einem Sockel. Das schafft Vertrauen. Dieser Handwerker ist für alle da – wie der Handwerker seit altersher, einer von uns.“

Hauptgeschäftsführer Gerd Lutz zur Kunst in der Handwerkskammer Karlsruhe:

„Kunst braucht Raum, um sich entfalten zu können. Schon Ende der 50iger Jahre wurden überregional bekannte Künstler, aber auch junge Talente, im damals neuen Verwaltungsgebäude öffentlich präsentiert. Wir setzen heute die Tradition mit modernen Kunstwerken im neuen Kammergebäude fort. Die Kunstwerke, beispielsweise kommunizierende Röhren aus Metall, Skulpturen aus Holz, Kunst aus Glas und Keramik oder Gemälde, sind ein Spiegelbild zu der systematischen Gliederung der unterschiedlichen Gruppen im Handwerk. Wir stellen die Brücke zwischen Kunst und Handwerk her.“