Vernetzt in der Zeitkapsel

Die Restauratoren des Zentrums für Kunst und Medien Karlsruhe erhalten und dokumentieren Werke des 20. und 21. Jahrhunderts

Henrike Mall bringt es auf den Punkt: „Es gibt nichts, was wir nicht machen!“ Laien mag diese Definition des Restauratorenspektrums am Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe zunächst verblüffen, im Gespräch mit der 41-jährigen Leiterin Restaurierung im Bereich Museums- und Ausstellungstechnik erweist sie sich eher als Untertreibung. Wie geht man mit einem Kunstwerk um, das hauptsächlich aus Torf besteht? Welches Raumklima bevorzugen lebende Hühner, welche Betreuung auswärtige Kunst aus Leihgaben anderer Häuser? Wie müssen Reinigungskräfte, Sicherheitsleute und Techniker auf die durchschnittlich zehn Ausstellungen pro Jahr vorbereitet werden, wie lassen sich noch nicht real existierende Kunstwerke umsetzen? Die in Depots lagernden Werke müssen dokumentiert und gepflegt – Stichwort Schädlingsbekämpfung – werden. Rund 8.000 Kunstwerke umfasst allein die eigene Sammlung des ZKM. Zum Vergleich: Auch das berühmte Amsterdamer „Rijksmuseum” stellt 8.000 Exponate aus.

„Kunst statt Konto“

Die To-do-Liste der ausgebildeten Gemälderestauratorin, die im ZKM vor allem im analogen Bereich arbeitet, ist noch längst nicht vollständig. „Eigentlich wollte ich ja mehr mit den Händen arbeiten“, verrät sie, aber nach achtjähriger Erfahrung als Projektleiterin im ZKM schien die Übernahme der Abteilung nur konsequent. „Handarbeit“ war allerdings erst kürzlich gefragt, als die Rahmung eines großen Triptichons von Markus Lüpertz anstand. „Learning by doing“, beschreibt sie ihre eigene Vorgehensweise, die sie auch ihren Volontärinnen und Volontären empfiehlt. Im Gegensatz zu Kunsthistorikern haben Restauratoren nach Studium und Volontariat gute Chancen auf dem kulturrellen Arbeitsmarkt – vor allem mit ZKM-Vorlauf! Wer im international führenden Haus für Kunst und Medien ausgebildet wurde, hat nicht nur ein riesiges Themenspektrum, sondern auch mit vielen international führenden Kunstschaffenden zu tun – beste Voraussetzungen für erfolgreiches Networking! Trotz guter Auftragslage – Reichtümer häuft ein Restaurator allerdings kaum an. „Kunst statt Konto“ lautet die Devise, aber: „Langweilig wird es nie“, schwärmt Mall.

Diese Einstellung kann Margit Rosen nur unterstreichen: Das rund zwölfköpfige „Kernteam“ der 2018 unter ihrer Leitung gegründeten Abteilung „Wissen“ mit ihrer Bündelung von zeitgenössischer Kunst, Medien- und Videokunst hat ständig den „Horizont des Machbaren“ im Blick. Die 1974 geborene Kunsthistorikerin mit Nebenfach Medienkunst steht – wie viele ihrer Kolleginnen – an der Schnittstelle analoger und digitaler Welten. Amüsiert verfolgt sie oft die verblüfften Reaktionen von Schulkindern auf eine altmodische elektrische Schreibmaschine. „Wir retten Videosammlungen“, nennt Rosen einen wichtigen Aufgabenbereich. Viele Werke aus den Anfängen der Videokunst wären bald verloren, würden sie nicht für das digitale Zeitalter aufbereitet, zumal vieles auch gar nicht „für die Ewigkeit“,sondern event- oder festivalbezogen, geschaffen wurde.

Neue Techniken werden von Künstlern als Werkzeug und Herausforderung verstanden, wobei das ZKM in einer weltweit einzigartigen Kombination sowohl Kunstschaffende als auch Kunstkonsumenten – vor allem der Zukunft – unterstützt. „Wir sind in der Region gewachsen“, betont Rosen das unglaublich große Interesse von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen an ZKM-Angeboten. „Vor Corona“ waren es über 100 Veranstaltungen im Jahr. Als besondere Herausforderung empfindet sie – ebenso wie ihr Team – die Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Restauratoren. „Da braucht es oft viele Gespräche und Diplomatie, um einen Künstler von der Notwendigkeit der Bearbeitung zu überzeugen“, meint sie.

Klassiker der Computer-Kunst

Was darf man machen, ohne die künstlerische Aussage zu verfälschen? Diese Frage stellt sich Morgane Stricot häufig. Ebenso wie ihr Assistent Matthieu Vlaminck hat sie an der Kunsthochschule in Avignon studiert und betreut als Restauratorin für Medienkunst die ZKM-Sammlung. Die frühen Werke der 1960er bis 1990er Jahre sind mit den Computern dieser Ära gealtert und müssen nun auf neuen Rechnern für die Zukunft bewahrt werden. „Unser Anspruch besteht darin, die Originale am Leben zu erhalten, um sie der Nachwelt funktionsfähig zu präsentieren“, ergänzt IT-Spezialist Daniel Heiss. Seit er im Jahr 2005 seine Tätigkeit beim ZKM begann, hat sich im Besucherverhalten einiges geändert, stellt er klar. Früher waren die Besucher der Ausstellungen viel ängstlicher, heute werden die inter- aktiven Angebote so unbefangen genutzt, dass häufig Reparaturen fällig werden. „Und manchmal hilft dann nur noch der 3D-Drucker als Ersatzteillieferant bei Ausfällen.“ Die Beherrschung der „alten“ Computersprachen wie Java gehört zu den Voraussetzung seiner Tätigkeit – ebenso wie Kunstverständnis bei der interdisziplinären Zusammenarbeit der ZKM-Teams.

„Wir sind hier wie in einer Zeitkapsel“, beschreibt Dorcas Müller ihr Reich voller Videogeräte aus fünf Jahrzehnten sowie dutzender Regale voller Videokassetten, deren Magnetbänder zukunftsfit gemacht werden müssen. Die Leiterin des Labors für antiquierte Videosysteme hat an der benachbarten Hochschule für Gestaltung Medienkunst studiert und hat als Videokünstlerin ein besonderes Gespür für den Wert der Arbeiten, die hier digital aufbereitet werden. Manchmal stößt sie auf wahre Schätze der Vergangenheit, wie etwa ein bis dahin in Vergessenheit geratenes Video von Yoko Ono und John Lennon.

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Meditation zu Licht und Klang

Als „hoch spannend“ – obwohl trotz der knapp 400 Lämpchen keine Hochspannung im Spiel ist – empfindet Marlies Peller das Werk eines Pioniers der elektronischen Kunst, das gerade auf der Ausstellungsebene von mehreren Technikern aufgebaut worden ist: Der dem ZKM eng verbundene Walter Giers schuf 1978 mit „Lichtwölbung“ ein mit 1,20 mal 1,20 Metern großes Objekt, in dem sich nach Auffassung der Restauratorin Licht und Klang zu einem meditativen Erlebnis – gesteuert von Zufallsgeneratoren – verbinden. Da es keinen „Schaltplan“ im handwerklichen Sinn für das Werk gibt, prüft sie zunächst die einzelnen Funktionen. „Dazu reichen meine Grundkenntnisse“, schmunzelt die Expertin für die Erhaltung zeitgenössischer Kunst und moderner Materialien. „Zum Aufspüren komplizierter Fehlerquellen bitte ich Kollegen dazu.“ Direkt neben der „Lichtwölbung“ wartet die „Gebetsmühle“ mit abstrakten „Mönchsgesängen“ auf ihren Check-up.

Rund 50 Arbeiten aus dem Nachlass des 2016 verstorbenen Künstlers wird Marlies Peller bis zur im Frühjahr 2021 geplanten „electronic art“-Ausstellung restaurieren. Durch Corona ist der Zeitplan etwas durcheinandergekommen, aufgrund der Verlegung um rund ein halbes Jahr hat sie jetzt noch mehr Zeit, sich intensiv mit Künstler und Oeuvre zu befassen. Der spannendste Augenblick? „Wenn ich zum ersten Mal den Startknopf drücke oder den entscheidenden Schalter umlege – und es klappt!“

Irene Schröder