Handwerk als „Pfeiler des Mittelstandes“

Interview mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble

Was verbinden Sie persönlich mit Karlsruhe und seiner Region?

Wolfgang Schäuble: Historisch die Rolle, die Karlsruhe bei der Demokratisierung Deutschlands gespielt hat. Hier wurde mit dem Ständehaus im 19. Jahrhundert immerhin das erste eigenständige Parlamentsgebäude auf deutschem Boden errichtet! Die badische Verfassung von 1818 enthielt einen eigenen Grundrechtskatalog, was sie zu einer der freiheitlichsten und fortschrittlichsten ihrer Zeit machte. Nicht zuletzt deshalb ist Karlsruhe der Sitz unseres Verfassungsgerichts. Heute verbinde ich mit Karlsruhe auch Erfindungsreichtum und Innovationskraft. Wichtige Innovationen gehen vom KIT und anderen Forschungsstätten in und um Karlsruhe aus. Die hier tätigen Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker machen die Gegend zu einem regionalen Kompetenzzentrum, das für die Herausforderungen der Zukunft gut gerüstet ist. Nur fußballerisch gibt es noch immer Luft nach oben ...

Wo liegen die Zukunftschancen der Technologieregion Karlsruhe an der Grenze zu Frankreich?

Schäuble: Etwa im Bereich Bildung und Forschung, einem für die nachhaltige Sicherung unseres Wohlstands essentiellen Gebiet. Wissen ist unser wichtigster Rohstoff. Peter Sloterdijk, ein Karlsruher, hat einmal moniert, Pädagogen würden übersehen, dass der beste Lehrer der Rivale sei. Wettbewerb ist eben ein zentraler Anreiz zur Wissensmehrung. Karlsruhes Nähe zu Frankreich erweist sich deshalb als Standortvorteil für die hiesige Technologieregion mit ihrem mittelständisch-handwerklichen Unterbau. Der Wettbewerb mit dem Nachbarland stimuliert Forschung und Wirtschaft hier wie dort. Noch besser: Aus der Konkurrenz ist vielfach längst eine Partnerschaft mit einem funktionierenden Wissenstransfer geworden. Auch deshalb präsentiert sich der Oberrhein auf beiden Seiten der Grenze als technologisch florierende Landschaft. Jetzt müssen wir alles dafür tun, dass dies auch nach der aktuellen Pandemie mit ihren Auswirkungen gerade auf die Grenzregion so bleibt.

Wie schätzen Sie den Stellenwert des Handwerks – meist in mittelständischen Unternehmen – in Deutschland ein?

Schäuble: „Handwerk hat goldenen Boden“, dieser Satz gilt weiterhin. Natürlich mit Modifikationen. Die Welt wandelt sich, und Berufsprofile müssen sich veränderten Bedingungen anpassen. Der Dreher von früher ist doch längst ebenso digital aufgerüstet wie der Mechatroniker, der vielerorts den klassischen Werkzeugmacher oder KFZ-Mechaniker verdrängt. An der Bedeutung des Handwerks als solchem ändert das nichts. Handwerk ist und bleibt ein Pfeiler des Mittelstands. Und mittelständische Betriebe sind Rückgrat und Motor unserer Wirtschaft.

Sie sind ein überzeugter Europäer, kommt Europa aus Ihrer Sicht auch dem Handwerk zugute?

Schäuble: Natürlich. Alle wirtschaftlichen Sektoren profitieren von den Freiheiten des Binnenmarktes, auch das Handwerk. Gerade in Grenzregionen wird das deutlich – etwa durch die Ausweitung des potentiellen Kundenkreises. Ein Schneider aus Karlsruhe findet neben heimischen Käufern auch Kunden aus Österreich oder Luxemburg, ein Tankwart aus der Region profitiert von durchreisenden Autofahrern aus Holland oder der Schweiz und ein Gerüstbauer von hier kann Aufträge aus dem benachbarten Elsass übernehmen, was nur möglich ist, weil und solange wir offene Grenzen haben. Auch die übrigen Freiheiten wirken effizienzsteigernd. Sie sichern den Wohlstand, den es ohne Europa nicht gäbe.

Warum gibt es keine Alternative zu Europa?

Schäuble: Kein Nationalstaat, und sei er noch so groß, ist in der Lage, mit den globalen Problemen allein fertig zu werden. Das geht nur gemeinsam, gerade in Krisenzeiten. Deshalb ist Europa trotz der Abstimmungsprobleme, die es anfänglich im Kampf gegen das Corona-Virus gab, die beste Antwort auf all die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, die mit der Pandemie ja nicht geringer geworden sind. Unter den Bedingungen von Globalisierung und Digitalisierung sind Staaten und Gesellschaften – ob sie es wollen oder nicht – Teil eines weltumspannenden ökonomischen, politischen und ökologischen Geflechts. Die Pandemie zeigt zwar die Schattenseite und die Verwundbarkeit dieses Systems, was teilweise zum Umdenken bei weltweiten Lieferketten führt.

Aber der globale Rahmen wird bleiben, und die EU bildet darin noch immer den größten Binnenmarkt, sie hat – selbst bei Austritt der Briten – politisches Gewicht. Die Krise müssen wir als Chance zu neuer Dynamik in Europa nutzen, um bei der Industriepolitik, bei Nachhaltigkeit und Digitalisierung unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen Playern wie den USA und China zu erhalten und zu verbessern. Von jeder Investition in dieses Projekt profitieren letztlich auch Wirtschaft und Handwerk.

Das Gespräch führte Horst Koppelstätter