Batterie gegen Oberleitung

Das Pilotprojekt „eWayBW“ erkundet im Murgtal die Zukunft des Schwerlastverkehr

„eWayBW“ ist ein Pilotprojekt zu elektrisch betriebenen Hybrid-Oberleitungs-Lkw. Auf der ausgewählten öffentlichen Teststrecke zwischen Gernsbach und Kuppenheim (Landkreis Rastatt) werden zwei Abschnitte elektrifiziert.

Ein Stromabnehmer fährt nach oben und dockt an einen Draht an, der kilometerlang über einer Fahrbahn befestigt ist. Nach dem Andockvorgang gleitet das Fahrzeug weiter dahin, als hätte sich nichts verändert – dabei handelt es sich nicht etwa um eine Straßenbahn, sondern um einen Lkw. Diesen für den Beobachter noch ungewöhnlichen Vorgang wird es in den kommenden Jahren im Murgtal bei Gaggenau des Öfteren zu bestaunen geben. Unter dem Projekttitel „eWayBW“ nimmt dort im Frühjahr 2021 auf der Bundesstraße 462 eine insgesamt 18 Kilometer lange Teststrecke für Oberleitungs-Lastwagen ihren Betrieb auf. Finanziert aus Bundes- und Landesmitteln werden dann zwischen Kuppenheim und Gernsbach zwei Abschnitte mit einer Gesamtlänge von knapp vier Kilometern durch die Bietergemeinschaft Siemens Mobility und SPL Powerlines Germany elektrifiziert sein.
Die in der Region angesiedelten Speditionen Fahrner Logistics und Huettemann Logistics beteiligen sich an dem Feldversuch mit insgesamt fünf geleasten Fahrzeugen des Herstellers Scania. Dabei handelt es sich um so genannte Hybrid-Oberleitungs-Lkw. Neben dem Stromabnehmer und einer Batterie ist darin auch noch ein klassischer Dieselmotor verbaut. Diese Lkw werden die Teststrecken regelmäßig im Rahmen realer Logistikeinsätze befahren. Die Organisatoren rechnen täglich mit mehr als 120 solcher Fahrten. Sensoren im Dach der Fahrzeuge erkennen, ob sich eine Oberleitung über dem Fahrzeug befindet. Die Stromabnehmer fahren dann im fließenden Verkehr aus, stellen einen Kontakt zur Oberleitung her und versorgen die Batterie mit Strom. Sobald die Oberleitung endet oder der Lkw zu einem Überholvorgang ansetzt, übernimmt der Dieselantrieb. Andere Fahrzeuge können den Fahrstreifen unter der Oberleitung wie gewohnt nutzen.

Daimler geht eigene Wege

Mit dem bis 2024 angelegten Projekt erkunden ein Forschungskonsortium und weitere Partner unter Federführung des baden-württembergischen Verkehrsministeriums einige grundlegende Aspekte für die Zukunft im Schwerlastverkehr. Batterie oder Oberleitung? Das ist hier eine der wesentlichen Fragen. Denn auch die Daimler AG beteiligt sich an „eWayBW“ – allerdings ohne die Oberleitungen zu nutzen. Der Fahrzeugkonzern bringt vielmehr „eine rein batteriebetriebene Sattelzugmaschine“ mit einer Reichweite von bis zu 200 Kilometern an den Start. Innerhalb des Pilotprojekts soll dieses Fahrzeug parallel zu den Hybrid-Oberleitungs-Lkw die gleichen logistischen Aufgaben erfüllen. Genaugenommen werden sogar drei verschiedene Antriebs-Konzepte getestet. „Ein sechstes Oberleitungs-Fahrzeug werden wir im Rahmen der weiteren wissenschaftlichen Begleitforschung selber aufbauen“, heißt es beim Verkehrsministerium. „Es wird sich dabei um ein HO-BEV-Fahrzeug handeln, das neben dem Stromabnehmer lediglich noch eine Batterie und eben keinen Verbrennungsmotor mehr hat.“ Die unterschiedlichen Ansätze sollen nach den Worten von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) „ergebnisoffen“ erforscht werden. (Im Bild: Der Fahrzeug-Konzern Daimler baut bereits weltweit Standorte für die Batterie-Produktion auf.)

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Ideale Bedingungen im Murgtal

Baden-Württemberg beteiligt sich mit dem auf rund 19 Millionen Euro veranschlagten Praxistest im Murgtal an einem bundesweit angelegten Feldversuch. Es gibt noch zwei weitere Pilotprojekte mit Oberleitungs-Straßenabschnitten in Deutschland. Bereits seit Mai 2019 ist auf der vielbefahrenen A5 bei Frankfurt auf rund fünf Kilometern Deutschlands erster „E-Highway“ in Betrieb. Und auf der A1 bei Lübeck wird mit einer Teststrecke vor allem die Anbindung von Elektro-Lkw an einen Hafen untersucht. Im Murgtal kommt das System erstmals auf einer Bundesstraße zum Einsatz. Die B 462 zeichnet sich zudem durch eine besondere Tallage aus. Die Teststrecke steht daher exemplarisch für die besonderen Anforderungen auf Bundesstraßen mit teilweise sehr anspruchsvollen straßenbaulichen Verhältnissen. „Wir finden im Murgtal ideale Bedingungen vor, um die Planung, den Bau und den Betrieb der Anlage zu testen“, erklärt dazu Marcel Zembrot, Gesamtprojektleiter von „eWayBW“. Die Kombination aus infrastrukturellen Randbedingungen und dem besonderen Betriebskonzept machten „eWayBW“ einzigartig und daher so interessant für die wissenschaftliche Begleitforschung. Die Initiatoren erhoffen sich nicht nur neue Erkenntnisse zu den Antriebstechniken an sich, sondern auch zu Fragen wie der Energieversorgung sowie den Auswirkungen auf Lärm, Luftschadstoffe oder straßenplanerische Maßnahmen.

„Wir brauchen Alternativen“

Begleitet wurde das Projekt allerdings auch von Kritik aus der lokalen Politik und von Bürgern. Insbesondere die damit verbundenen Baumaßnahmen und Verkehrseinschränkungen warfen im Vorfeld etwa in Informationsveranstaltungen Fragen auf. Verkehrsminister Hermann betont demgegenüber die grundsätzliche Bedeutung der Suche nach alternativen Antrieben: „Ein klimaschonenderer Straßengüterverkehr wird dringend benötigt“, sagt er. „Auch wenn große Anstrengungen erfolgen, um den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern, wird auf absehbare Zeit der Großteil weiterhin auf der Straße transportiert werden. Wir brauchen also funktionierende Alternativen zum bisher dominierenden Diesel-Lkw, wenn wir die Klimaschutzziele im Verkehr erreichen wollen.“

Christoph Ertz 


Info
Das Forschungskonsortium „eWayBW“ besteht aus dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (Fraunhofer ISI), PTV Transport Consult, dem FZI Forschungszentrum Informatik und dem Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (Fraunhofer-ICT). Weitere Informationen gibt es unter https://ewaybw.de/.