Das Bauhaus wird 100

Licht, Luft und Sonne in weißen Betonwürfeln

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Die Dammerstock-Siedlung in Karlsruhe ist eine Bauhaus-Musteranlage. Sie entstand als Antwort auf den akuten Wohnungsbedarf in den 1920er Jahren.

Wer eine der neuen modernen Wohnungen mit fließend warmem und kaltem Wasser und mit Heizung in der Dammerstock-Siedlung besichtigen wollte, zahlte im Oktober 1929 an einem kleinen Pförtnerhäuschen 50 Pfennig. Der Rundgang, der dann folgte, führte in eine neue Welt: Eine Welt, die ohne Schnörkel und Luxus auskam. Die minimalistischen Wohnungen waren funktional bis ins Detail. Sie sollten ein modernes, gesundes Leben ermöglichen – mit viel Licht und Luft für alle.

Seit der Jahrhundertwende stieg die Einwohnerzahl Karlsruhes bis 1928 von 100.000 auf 156.000 an. Wohnungen mussten her und zwar nicht für Besserverdienende, sondern für die einfachen Leute. Die neue Siedlung bestand aus Wohnhäusern mit strahlend weißen Fassaden, grauen Sockeln, Flachdächern und gleichmäßigen, schnörkellosen Fensteröffnungen. Dazwischen großzügige Grünflächen. Mehrstöckige Bauten mit langen Fensterfronten, gläsernen Treppenhäusern, Laubengängen, die zu Wohnungen führten. Schmale Reihenhäuser mit ebenso schmalen Vorgärten. Alles neu, alles anders. Ein minimalistischer Stil, der für viele gewöhnungsbedürftig war. Im Innern der weißen Betonwürfel: Zentralheizung, ein Fenster in jedem Raum – eine Innovation –, eingebaute Küchen und Badezimmer. 

„Mustersiedlung des Neuen Bauens“

hieß das Neubauprojekt. Was Architekten und Stadtplaner damals vor allem forderten, ist aktueller denn je: funktionaler, bezahlbarer Wohnraum.

 Die Dammerstock-Siedlung erstrahlt heute denkmalgerecht saniert in neuem Glanz.

Kunst und Handwerk haben den gleichen Stellenwert

Die Lösung für dieses Problem kam damals von einer neuartigen Kunstschule, die gerade in Weimar gegründet worden war. Sie nannte sich „Staatliches Bauhaus“ und ihr Gründer, der Architekt Walter Gropius, wollte – in Anlehnung an die mittelalterlichen Bauhütten – die Trennung von Kunst und Handwerk aufheben. Maler, Architekten, Filme- und Theatermacher, Fotografen, Städtebauer und Produktdesigner sollten gemeinsam ihre Expertise einbringen, wenn es darum ging, wie in Zukunft gut gewohnt werden kann. Die „Bauhäusler“ spielten mit Formen, Farben und Materialien. Dreieck, Quadrat und Kreis und gleichzeitig die Grundfarben Gelb, Blau und Rot spielten dabei die Hauptrolle. Alltagsgegenstände und auch das Wohnen sollten einfach und praktisch gestaltet sein und in Zusammenarbeit mit der Industrie auch in Serie gefertigt werden können. „Die Form folgt der Funktion“ – der Bauhaus-Leitsatz schlechthin.

Die Gebrauchswohnung

1928 schrieb die Stadt Karlsruhe einen Wettbewerb zur Bebauung des südlichen Teils des Dammerstock-Geländes aus. Im Fokus:

„der Gebrauchswert der Wohnungen für Familien aus mittleren und unteren Einkommensschichten“.

Wettbewerbsteilnehmer waren unter anderem Walter Gropius, Otto Haesler und Wilhelm Riphahn mit Caspar Maria Grod – allesamt namhafte Architekten. Nicht weniger renommiert die Architekten in der Jury: Ernst May, Ludwig Mies van der Rohe und Paul Schmitthenner.Walter Gropius, der kurz zuvor die Leitung des Bauhauses aufgegeben hatte, holte den ersten Preis. Auf Platz zwei: Otto Haesler. Kernidee war die strikte Zeilenbauweise. Die Gebäudereihen waren in Nord-Süd-Richtung angelegt. An den Zeilenenden waren quergestellte Kopfbauten geplant. Der Grund für die Ausrichtung war die Sonne. Morgens sollte das Licht ins Schlafzimmer, mittags in die Wohnräume fallen. Die Räume waren so aufgeteilt, dass eine praktikable Trennung der einzelnen Wohnbereiche gewährleistet war. Von Gropius stammen insgesamt drei Häuser im Dammerstock. Die Entwürfe der übrigen Gebäude übernahmen die anderen Preisträger.

 Walter Gropius entwarf drei Häuser in der Dammerstock-Siedlung.

Jedoch legte Gropius gestalterische Vorgaben fest, zum Beispiel, dass Fassaden weiß, Sockel, Türen und Fenster grau gestaltet werden und alle Häuser Flachdächer tragen sollen. Bis heute reichen die Wohnungstypen vom flachen Doppelhäusern über dreistöckige Reihenhäuser bis zu viereinhalbstöckigen Geschossbauten. Ein prägnanter Bau stammt von Otto Haesler. Dort waren damals die Gemeinschaftswäscherei, die Zentralheizung für die gesamte Siedlung sowie eine Gaststätte und eine Metzgerei untergebracht. Die ersten 228 von 750 geplanten Wohnungen wurden im Rahmen der Ausstellung „Die Gebrauchswohnung“ im Oktober 1929 eingeweiht. Doch die Weltwirtschaftskrise 1929 durchkreuzte die ambitionierten Pläne. Das Projekt wurde auf Eis gelegt. Die Nationalsozialisten lehnten das Neue Bauen ab. In der Folgezeit wurden zwar weitere Gebäude erstellt, diese aber im NS-Heimatstil. Erst nach 1949 kamen Laubenganghäuser dazu, die wieder den Stil des Neuen Bauens verkörperten. Die Dammerstocksiedlung war in der Anfangszeit eher ein Spottobjekt. Wegen der kleinen Wohneinheiten verbreitete sich schnell der Running-Gag, dass Bewohner des Dammerstocks spezielle Nachttöpfe hätten, deren Henkel nach innen zeigten, weil normale Nachttöpfe zu groß für die Wohnparzellen seien.

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Das Bauhaus lebt weiter

Das Bauhaus existierte nur 14 Jahre lang. Trotzdem wurde es zu einer der einflussreichsten Kunst- und Designschulen des 20. Jahrhunderts. Sein Weg reichte vom Gründungsort Weimar über Dessau bis nach Berlin. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde es 1933 geschlossen. Einige Bauhäusler arbeiteten während des Naziregimes weiter, viele wanderten in die USA aus. Damit war das Bauhaus- Gedankengut aber nicht aus der Welt, sondern es verbreitete sich in ihr. Beispielsweise in den USA oder in Israel, wo es mit mehr als 4.000 Häusern die meisten Bauhaus-Gebäude weltweit gibt. Auch wenn die Ansprüche der Bauhaus-Schule sich vielerorts nicht immer eins zu eins umsetzen ließen, ihre Ideale beeinflussen und inspirieren viele Architekten und Designer bis in unsere Tage.

„Das Bauhaus gilt heute weltweit als Heimstätte der Avantgarde der klassischen Moderne auf allen Gebieten der freien und angewandten Kunst. Die Resonanz des Bauhauses hält bis heute an und prägt das Bild vieler modernistischer Strömungen“,

sagt die baden-württembergische Kunststaatssekretärin Petra Olschowski.

„Konservenbüchsen“ unter Denkmalschutz

Das Bauhaus wird nicht nur an seinem 100. Geburtstag wie ein Superstar gefeiert. Freischwinger aus Stahl von Marcel Breuer und die berühmte Wagenfeld-Leuchte sind noch immer Designklassiker. In den 1930er Jahren waren viele vom Bauhaus-Stil entsetzt. Er galt als steril, monoton und hässlich, man sprach von geschichtslosen Stahlmöbeln, Konservenbüchsen und Kasernen. Aber wie so oft haben auch hier die negativen Schlagzeilen eine breite Aufmerksamkeit erst richtig angefeuert.

In den letzten Jahren wurde die Dammerstock-Siedlung denkmalgerecht saniert. Bis heute ist sie vollständig bewohnt. Das Pförtnerhäuschen, wo man damals mit 50 Pfennig pro Besichtigung zur Kasse gebeten wurde, wurde kürzlich wieder aufgefrischt. Der Preis ist nur noch symbolisch. Der Eintritt ist heute frei. Er erinnert aber daran, dass der Dammerstock als hochinnovative Bauhaus-Mustersiedlung erbaut wurde.

Ariane Lindemann