Vertrauen in die Gnade Gottes

Die Reformation im Südwesten

 Das Melanchthonhaus in Bretten wurde 1897 an der Stelle des 1689 abgebrannten Geburtshauses des Reformators errichtet.

Es ist der bedeutendste Erinnerungsort der Reformation im deutschen Südwesten: das Melanchthonhaus in Bretten. Das große Buntsandsteingebäude will nicht so recht ins bescheidene Stadtbild passen. Mit der Kreuzblume auf dem Giebel, den mehrteiligen Fenstern und den gewölbten Türen sieht es eher einem Nürnberger Patrizierhaus, einem Gotteshaus oder einem Rathaus ähnlich. Dabei unterstreicht die bauliche Gestalt aus dem späten 19. Jahrhundert nur die geistige Bedeutung desjenigen, der an dieser Stelle am 16. Februar 1496 zur Welt kam. Damals, als Bretten noch Brettheim hieß und zur Kurpfalz gehörte. Philipp Schwartzert, so sein deutscher Name, war der früh verwaiste Sohn eines fürstlichen Waffenschmieds. Als sich der hochbegabte Knabe schon mit zwölf Jahren in der Universität Heidelberg einschrieb, übertrug sein Onkel, der in Pforzheim geborene Humanist Johannes Reuchlin, den Namen seines Zöglings stolz ins Griechische: Philipp Melanchthon.

Es war der 26. April 1518, der nicht nur sein Leben, sondern auch die Geschichte des deutschen Südwestens maßgeblich verändern sollte. Magister Philipp war an diesem Tag von Tübingen aus nach Heidelberg gereist, um den Mann zu hören, an dem sich die Gemüter seiner Zeitgenossen erhitzten, wie an keinem anderen: Doktor Martinus Luther. Wie ein Lauffeuer hatten sich dessen 95 (womöglich nie an die Tür der Wittenberger Schlosskirche genagelten) Thesen über den gesamten deutschen Sprachraum verbreitet – dank der jungen Kunst des Buchdrucks! Innerhalb einer „Disputation“ in der ältesten deutschen Universität sollte Luther vor Mitgliedern seines Ordens seine provokanten Thesen verteidigen.

Aber statt sich, wie erwartet, zum kritisierten Ablasshandel der Kirche zu äußern, stellte er in Heidelberg die Weichen für die protestantische Theologie: Nicht durch „gute Werke“, sondern allein durch seinen Glauben und die Gnade seines Schöpfers sei der Mensch vor Gott gerechtfertigt. Ob er aber im Zustand der Gnade sei, darüber befände Gott allein und nicht die Kirche! Dem Gläubigen bliebe nur dies: „Sola gratia, sola fides, sola scriptura!" – die Gnade, der Glaube, die Heilige Schrift! Professoren und Geistliche reagierten empört, doch junge Zuhörer wie Melanchthon fingen Feuer und suchten sofort das Gespräch mit Luther: Die Reformation war nicht zuletzt auch eine Studentenbewegung!

Es sollt e aber noch bis 1821 dauern, bis aus einer Union von reformierten und lutherischen Landesteilen die heutige badische evangelische Landeskirche entstand. Maßgeblichen Anteil hatte daran ein Dichter: Johann Peter Hebel, als Prälat damals der ob erste badische Kirchenbeamte.

Doch zurück ins Jahrhundert der Reformation! Bereits mit dem Augsburger Religionsfrieden galt ab 1555 für alle deutschen Herrschaftsgebiete die Formel: „Cuius regio, eius religio“ – der Landesherr bestimmte die Religion seiner Untertanen! In den evangelischen Territorien sollte der Herrscher danach noch bis 1918 auch als Landesbischof amtieren. In den zahlreichen freien Reichsstädten, etwa im Elsass, gab dagegen die Ratsmehrheit den Ausschlag. Gerade aber diese republikanischen Inseln im alten Reich, in unserer Gegend insbesondere die Städte Straßburg, wo der große Martin Bucer aus Schlettstadt wirkte, und Basel, wurden zu Keimzellen der Reformation. Andere Gebiete im heutigen Baden-Württemberg blieben dagegen streng katholisch: so die Besitzungen des Kaiserhauses Habsburg links und rechts des Rheins (Freiburg, der Breisgau und die Reichsvogtei Ortenau mit Offenburg) und die 1534 gegründete Markgrafschaft Baden-Baden (nur kurzzeitig protestantisch) oder die Reichsklöster Herrenalb, Gegenbach und Schuttern – um nur einige zu nennen. Eine „Pforte der Reformation“ (so der Titel einer neueren Publikation) war dagegen die Stadt Pforzheim. Als die Markgrafschaft Baden 1535 geteilt wurde, blieb der Ort drei Jahrzehnte lang Residenz der evangelischen Teilgrafschaft Baden-Durlach, zu der auch das ererbte Markgräfler Land und die Herrschaft Emmendingen-Hachberg gehörten.

 Martin Luther im Kreise von Reformatoren, 1625/1650.

Als Zehnjähriger schon fließend in Latein

1556 ließ Markgraf Karl für „seine“ Reformation Experten aus der Kurpfalz, Sachsen und Württemberg nach Pforzheim kommen und miteinander diskutieren. Er entschied sich schließlich für die gemäßigte Kirchenverfassung von Johannes Brenz, so dass sich die Kirchenordnungen in den drei benachbarten Territorien stark anglichen.

Wichtige Impulse für die neue Bewegung gingen auch von der Offenburger Lateinschule und ihren Absolventen aus. Am einflussreichsten war aber zweifellos Philipp Melanchthon. Schon auf der Lateinschule in Pforzheim hatte der Siebengescheite für Aufsehen gesorgt, da er bereits mit zehn Jahren fließend Latein, Griechisch und Hebräisch sprach.

Als Kurfürst Friedrich von Sachsen für seine junge Universität Wittenberg einen Griechisch-Lehrer suchte und sich zunächst an Reuchlin wandte, empfahl dieser aus Altersgründen den Neffen. 

Der nur 1,50 Meter große, zierliche junge Magister mit dem kleinen Sprachfehler und der leisen Stimme wurde zunächst mit Skepsis betrachtet, sein überragender Geist und seine Rednergabe versetzten aber nicht nur die Wittenberger in Erstaunen.

Philipp Melanchthon wurde zu Luthers verlässlichsten Weggefährten: ein Akkordarbeiter im Dienste der Reformation, ein Vielschreiber und Intellektueller, zudem bei weitem kompromissbereiter als sein oft grobschlächtiger, wenig diplomatischer Freund. Nur in einem Bemühen blieb Melanchthon letztlich erfolglos: der Einheit der Christenheit.

Das Lutherjahr im Südwesten

Auch die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg widmen sich mit einer Veranstaltungsreihe dem Lutherjahr. Unter dem Motto „ÜberKreuz“ wurd ein großes Programm zum Thema „Reformation“ zusammengestellt, so unter anderem im Schloss Favorite in Rastatt oder im Kloster Maulbronn. Das gesamte Programm und weitere Informationen unter www.ueber-kreuz2017.de.

Stefan Tolksdorf

Bildnachweis: Martin Luther, Porträt von Lucas Cranach d. Ä. (Werkstatt), 1528
Foto: Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt