Gute Stube des Sports

Seit 1960 gastieren die „Sportler des Jahres“ in Baden-Baden

Manchmal rieselt leise der Schnee und die Besucher des Baden-Badener Weihnachtsmarktes reißen sich von den gebrannten Mandeln los, um sich in das staunende Spalier aus Fans und Autogrammjägern einzureihen. Alle Jahre wieder kurz vor Weihnachten ist die Wahl der „Sportler des Jahres“ im Kurhaus von Baden- Baden ein rauschendes Fest. Dann geben sich die deutschen Sportstars gleich reihenweise auf dem Roten Teppich die Ehre. 2016 feierten rund 750 geladene Gäste die Sporthelden – samt Tanz und Gala-Menü. Im traumhaft glitzernden Abendkleid strahlte die Tennis- Königin Angelique Kerber über das ganze Gesicht. Der Turner Fabian Hambüchen freute sich ebenso – und die Beachvolleyballerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst waren auch voller Glück. Warum? Sie alle waren die „Sportler des Jahres“ 2016. Um Geld geht es nicht bei dieser Wahl, nur um die Ehre. Für alle Sieger gibt es eine schwere, abstrakte Bronzeskulptur nach einem Entwurf des Bildhauers Joachim Mende.

1960 gastierten die „Sportler des Jahres“ erstmals in Baden-Baden. „Längst gilt die Kurstadt als gute Stube des deutschen Sports“, erklärt die „Internationale Sport-Korrespondenz“ (ISK), die den Event organisiert. „Das Flair von Kurhaus und Casino ist einzigartig, die vornehmen Hotels liegen nur einen Steinwurf entfernt – und die vorweihnachtlich geschmückte Stadt ist sowieso eine Reise wert.“ 

Nach zwischenzeitlichen, aber nie lange währenden Umzügen unter anderem nach München, Berlin, Dortmund und Hannover ist die Stadt am Rand des Schwarzwalds inzwischen so etwas wie der angestammte Platz für die Wahl. „Derzeit gilt nur Baden-Baden als würdiger Gastgeber“, beschied das „Badische Tagblatt“ bereits 1990. Der Anfang vor 70 Jahren war noch äußerst bescheiden: Bei rund 20 Zeitungen fragte Kurt Dobbratz, Gründer der ISK, erstmals nach, wer die besten Sportler Deutschlands seien. Die Wahl fiel auf die Tennislegende Gottfried von Cramm und die Leichtathletin Marga Petersen. Sie waren die ersten „Sportler des Jahres“, was aber nicht großartig gefeiert wurde. Von Cramm soll von der Ehrung erst durch eine kleine Zeitungsnotiz erfahren haben.

Bei der ersten offiziellen Ehrung 1953 waren gerade mal fünf Reporter anwesend, heute stimmen dagegen rund 3.000 Sportjournalisten ab. Kameras in allen erdenklichen Positionen, tonnenweise Scheinwerfer und Strahler, Applaus, Prickeln, Stimmung – es erinnert ein wenig an die Oscars, wenn das Moderatoren-Duo des Abends eine goldene Showtreppe herunter kommt und die Zeremonie eröffnet: „Herzlich Willkommen bei den Sportlern des Jahres.“ Erst der SWR, dann DSF sowie RTL und seit 1998 das ZDF machen die Gala zu einem Medienereignis mit hohen Einschaltquoten. Über 100 Minuten werden gesendet, mehr als 100 Redakteure sind vorort: Wer sind die Favoriten, wird es Überraschungen geben? Aber auch: Wer zieht die meisten Blicke auf sich?

Busemann fliegt an die Spitze

Zehnkampf-Ikone Frank Busemann hat den Abend seiner Wahl zum „Sportler des Jahres“ 1996 so beschrieben: „Die Einladung war schon unglaublich. Nun kam ich also ins Foyer, ich war im Tunnel, die Journalisten stürzten auf mich zu, wollten wissen, was ich zu meinem Sieg sage – schon vorher, woher wollten die das wissen? Doch dann, im virtuellen TED, zündet Busemann den Turbo. Mein Männchen fliegt an die Spitze, Busemann ist vorn, das fühlt sich gut an, sehr gut sogar.“ Auch für Schwimmlegende Franziska van Almsick, immerhin dreimal „Sportlerin des Jahres“, war der Termin in Baden-Baden stets eine besondere Reise wert: „Bei dieser Wahl fühle ich mich zuhause. Das ist anders als bei vorherigen Ehrungen, wo man zwischen Promis und Schauspielern rumhüpft.“

Formel-1-Weltmeister übernimmt das Steuer

In der Ausstellung „Sport trifft Geschichte“ widmete sich das Stadtmuseum Baden-Baden 2016 der Entwicklung der Gala. Zu den dort präsentierten Aspekten rund um den Event gehörte beispielsweise das Thema Transport: „Unsere Gäste reisten mit dem eigenen Auto an und legten den Weg zum Kurhaus zu Fuß zurück“, erinnerte sich demnach ein Insider an die Anfänge der „Sportler des Jahres“. Heute gleicht die Anreise der Transport-Logistik bei Fußballwelt- oder europameisterschaften: Hubschrauber und Privatflugzeuge kommen zum Einsatz, VIP-Shuttle holen Stars und Gäste vom Flugplatz ab. Im Jahr 2000 landete Olympiasieger Nils Schumann mit einem Helicopter direkt vor dem Kurhaus. Es geht um Minuten, damit die Fernsehsendung pünklich beginnen kann. Im engen Terminkalender der Beteiligten kann es sogar sein, dass ein Formel-1-Weltmeister selbst das Steuer ergreift. 1995 unterbrach Michael Schumacher eigens Trainingsfahrten in Portugal und machte sich nach Baden- Baden auf. 

Ein heftiger Wintereinbruch führte zu einer chaotischen Anreise und dazu, dass er seinen Preis erst verspätet in Empfang nehmen konnte. Da Schumacher aber noch rechtzeitig vor dem Inkrafttreten des Nachtflugverbots in Straßburg wieder bei seinem Flieger sein wollte, bat er auf der Rückfahrt ins Elsass den zur Verfügung gestellten Fahrer, neben ihm Platz zu nehmen. Auch bei Kälte, Schnee und Eis wollen eben viele die „Sportler des Jahres“ auf keinen Fall verpassen – und das hängt ganz sicher auch mit der besonderen Atmosphäre zusammen, wenn kurz vor Weihnachten in Baden-Baden leise der Schnee rieselt.

www.sportler-des-jahres.de

Christoph Ertz