Das autonome Fahren wird kommen

Karlsruhe und Bruchsal bilden ein landesweites Zentrum für das Zukunftsthema autonomes Fahren

Motor an, Augen zu, entspannen – oder ein Buch lesen oder sich auf den anstehenden Termin vorbereiten oder die Landschaft genießen oder mit der Familie Karten spielen. So könnte das Autofahren eines Tages daher kommen: Der Mensch gibt ein, wo es hinrollen soll, der Autopilot übernimmt das Steuer. Bereits heute unterstützen moderne Assistenzsysteme den Fahrer unter anderem in unfallträchtigen Situationen und beim Einparken, aber beim autonomen Fahren der Zukunft steuern die Fahrzeuge ihre Insassen selbstständig und sicher zu jedem gewünschten Ziel. 

Wann es so sein wird, steht noch in den Sternen – aber es wird bereits intensiv daran gearbeitet, insbesondere in Karlsruhe. „Die Fächerstadt ist sehr stark in der Mobilitäts-Forschung im Allgemeinen und zum autonomen Fahren im Besonderen“, erklärt Matthias Pfriem vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Clustermanager der „Profilregion Mobilitätssysteme Karlsruhe“.

 Ein Argument für die selbstfahrenden Autos ist der Komfort. Hinzu kommen vor allem noch Effizienz und Sicherheit.

Allein am KIT forschen nach seinen Angaben 37 Institute zur Mobilität. Schon vor Jahrzehnten waren KIT-Wissenschaftler am PROMETHEUS- Projekt beteiligt, mit dem der Daimler-Konzern ab 1986 eine Pionier-Arbeit zum autonomen Fahren initiierte. Hinzu kommen das Forschungszentrum Informatik (FZI), die Hochschule Karlsruhe und die in Karlsruhe ansässigen Fraunhofer-Institute, die ebenfalls daran tüfteln, dass sich vielleicht schon in absehbarerZeit kein Mensch mehr selbst hinter das Steuer seines Wagens setzen muss. Darüber hinaus beschäftigen sich beispielsweise auch in Bruchsal mehrere Firmen mit der Analyse und Steuerung autonomer Fahrzeuge.

Viele Forschungsaktivitäten sind seit 2017 im Leistungszentrum „Profilregion Mobilitätssysteme Karlsruhe“ miteinander verbunden – auch um gezielter Partner aus der Industrie gewinnen zu können. Ein Konsortium mit Partnern der Profilregion hat zudem den Zuschlag für ein „Testfeld zum vernetzten und automatisierten Fahren“ erhalten. Das mit 2,5 Millionen Euro vom Land Baden-Württemberg geförderte Projekt erforscht über mehrere Jahre in und zwischen Karlsruhe, Bruchsal sowie Heilbronn auf dem normalen Straßennetz das selbstständige Fahren.

Dabei spielt Bruchsal eine wichtige Rolle. Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick ist sehr zufrieden: „Ich freue mich,  dass wir Teil einer zukunftsweisenden Entwicklung in der Forschung sein dürfen und uns damit auf den Spuren der Pionierin Bertha Benz bewegen“, so die Bruchsaler Rathauschefin. Die Bedeutung dieses Testfeldes war nicht zuletzt daran zu erkennen, dass eine starke Konkurrenz aus der Region Stuttgart bis zuletzt versucht hatte, die Entscheidung im Verkehrsministerium zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die Initiatoren hoffen insbesondere, das autonome Fahren im komplizierten Stadtverkehr voranbringen.

Doch wie ist denn nun der aktuelle Stand, was können die Autopiloten bereits? „Stufe drei von fünf”, betonen Andreas Lauber und Lukas Erlinghagen, beide wissenschaftliche Mitarbeiter am KIT. „Stufe drei bedeutet hochautomatisiertes Fahren: Das Fahrzeug findet sich in bestimmten Situationen wie Autobahnfahrt oder Einparken bereits alleine zurecht, der Mensch sitzt aber noch hinter dem Steuer und muss im Zweifelsfall eingreifen.“ In der Stufe fünf muss dann gar kein Mensch mehr am Steuer sitzen, das Fahrzeug müsste nicht mal ein Steuer haben. Wenn man gerade einen Wagen braucht, lässt man sich das „Robotertaxi“ einfach kommen. Nach dem Ende der Fahrt macht es sich zum nächsten Chaffeurdienst auf. Und Handwerker könnten ihre Fahrzeuge dann alleine zurück zum Betrieb schicken, wenn sie auf der Baustelle noch etwas brauchen.

Stadtverkehr – das Nadelöhr

„Doch von der Vollautomatisierung sind wir noch weit entfernt, eher Jahrzehnte als Jahre“, stimmen die drei Mobiltätsforscher überein. Den Weg zur Stufe fünf wollen die Vordenker für den rein technischen Fahrzeugverkehr unter anderem mit einem Gefährt bereiten, das wie ein Kinderfahrzeug wirkt. Es erreicht nicht mal Kniehöhe, ist im Fahrbetrieb durchaus laut und bietet nicht den geringsten Komfort – dafür ist es aber vollgestopft mit Hightech-
Computer und -Kameratechnik. „OPTICAR“ heißt das Demonstrationsfahrzeug eines gleichnamigen Forschungsprojekts.

„Um Fahrmanöver präzise durchführen zu können, ist die genaue Erfassung der Verkehrssituation um ein Auto herum entscheidend“, erklärt Erlinghagen. Das gelte besonders für den Stadtverkehr – dem kniffligsten Nadelöhr für das autonome Fahren. Denn während es auf Autobahnen noch relativ überschaubar für die fahrerlosen Verkehrsmittel ist, sind die Einflüsse innerhalb einer Stadt äußerst komplex: Fahrräder, Kinder, Roller, Hunde, Gegenverkehr. 

Das „OPTICAR“ ist mit sechs Weitwinkel-Stereo-Kameras ausgestattet. Die Bilder der Stereo-Kameras ermöglichen die Tiefenwahrnehmung der Umgebung und geben unter anderem Aufschluss über Position, Distanz und Geschwindigkeit von Objekten. Im Zusammenspiel mit einem Bildverarbeitungsrechner lässt sich in Echtzeit ein Gesamtbild der Verkehrssituation ermitteln.

Gerade was die Verarbeitung der Signale ihrer „Augen“ anbelangt, sind für die autonomen Fahrzeuge der Zukunft aber noch viele Fragen zu klären: „Ist das Objekt ein Baum, ein Hund oder ein Mensch? Und welches Verhalten ist von dem Objekt zu erwarten?“, erläutert Pfriem. Auch zu solchen Fragen wird in Karlsruhe geforscht.

Künstliche Intelligenz im „Tank“

Das autonome Fahren wird kommen. Davon sind Pfriem, Lauber und Erlinghagen überzeugt. Vor allem drei Argumente führen sie dafür ins Feld: Neben Komfort geht es hauptsächlich um Effizienz und Sicherheit. „Gegenwärtig sind Fahrzeuge eher Stehzeuge“, sagen sie. „Ein privates Kfz in Deutschland wird im Jahr durchschnittlich nur 14.000 Kilometer bewegt und steht 23 Stunden am Tag.“ Die zukünftigen Carsharing-Automobile, die von Nutzer zu Nutzer eilen, werden auf eine weitaus höhere Laufleistung kommen. 

Vor allem aber soll das autonome Fahren den Verkehr sicherer machen. Jährlich bis zu 1,4 Millionen Verkehrstote sind heute weltweit zu beklagen, die allermeisten Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen – der Faktor fällt weg, wenn die Maschinen das Steuer übernehmen und die Fahrzeuge auch noch untereinander kommunizieren, um zum Beispiel den Sicherheitsabstand exakt einzuhalten.

Doch lassen sich denn alle möglichen Situationen, die im Verkehr auftreten können, programmieren? „Nein!“, betont Lauber. „Das wären viel zu viele. Schauen Sie alleine folgende Situation: Es fährt ein Lkw mit 80 Stundenkilometern auf der rechten Spur einer zweispurigen Autobahn voraus, dahinter kommt ein Pkw mit 100 heran. Kommt dazu noch auf der linken Spur ein Auto immer näher – dann gibt es in dieser Situation etwa 14.000 verschiedene Entscheidungsmöglichkeiten. Wer soll abbremsen oder beschleunigen? Wie stark sollen die Fahrzeuge bremsen oder beschleunigen? Wird vor oder nach dem heranrauschenden Auto ausgeschert?“ Doch das Programmieren wird gar nicht nötig sein – denn die Maschinen werden künstliche Intelligenz im „Tank“ haben. Statt sie explizit auf alles zu programmieren, was sie in welcher Situation zu tun haben, gibt man ihnen Werkzeuge unter die Motorhaube, mit denen sie ihre Umgebung und Fahrweise selbst strukturieren.

Christoph Ertz