„Was wir brauchen, ist soziale Solidarität"

Prof. Michael Berner, Klinikdirektor der Psychatrischen Klinik am Städtischen Klinikum Karlsruhe

Das Corona-Virus und die damit verbundenen Schutzmaßnahmen greifen zum Teil tief in unser gewohntes Leben ein. Jeder ist auf eine andere Weise von den Folgen der Pandemie betroffen. Prof. Dr. Michael Berner, Klinikdirektor der Psychiatrischen Klinik am Städtischen Klinikum Karlsruhe, erklärt, warum gerade jetzt soziale Solidarität und die radikale Akzeptanz der momentanen Situation eine entscheidende Rolle spielen, damit unser Alltag so stabil wie möglich bleibt.

Eine Stressreaktion ist dadurch gekennzeichnet, dass wir eine – über einen gewissen Zeitraum – nicht beherrschbare Situation vor uns haben. Genau das erleben wir gerade. Wir wissen nicht, wann die Pandemie zu Ende ist, und wir sind in Sorge um unsere Familie, unsere Arbeit, unsere Gesundheit. Die Stressachse unseres Körpers ist quasi daueraktiviert, was dafür sorgt, dass wir, aktuell verstärkt durch den Anstieg der Fallzahlen und den Teil-Lockdown, im permanenten Stressmodus sind.

Wie gehen wir am besten mit dem Stress um? Wenn wir uns zu sehr sorgen, verschwenden wir unsere Kraftreserven. Deshalb sollten wir unseren Blick nicht so weit in die Zukunft richten, sondern den Fokus eher auf die nächsten Tage oder die kommenden ein, zwei Wochen legen. Was wir jetzt vor allem in der Vorweihnachtszeit brauchen, ist die Besinnung auf das, was uns trotz der notwendigen Einschränkungen noch alles zur Verfügung steht. Wir müssen das Virus ernst nehmen, daran darf es zu keinem Zeitpunkt Zweifel geben. Aber wir sollten dennoch nicht vergessen, zu leben, zu genießen und uns etwas Schönes in Aussicht zu stellen.

Auch wenn wir jetzt nicht ins Theater, ins Kino, ins Restaurant und zum Sport gehen können, haben wir dennoch viele Möglichkeiten für soziale Interaktion – gerade im Zeitalter der Digitalisierung. Ein Zoom-Telefonat mit Familienangehörigen oder Freunden kann eine lebendige Begegnung sein, bei der man sich ohne Maske sehen und sprechen kann. Auch das Telefon, der Austausch in sozialen Medien, Briefe und Kurznachrichten wie WhatsApp helfen uns durch die Krise. All das kann einen persönlichen Besuch oder eine Umarmung natürlich niemals ersetzen. Aber Nähe entsteht nicht allein durch Gesten, sondern durch ein Gefühl, sich nah zu sein, durch Anteilnahme und durch soziale Solidarität, einer der wichtigsten Werte in Krisenzeiten.

Die Sorgen, die uns momentan umtreiben, sind gemeinsame Sorgen. Wir sitzen alle im selben Boot. Da wir nicht in die Zukunft schauen können, bleibt uns neben der Einhaltung der allgemeinen Schutzmaßnahmen nichts anderes übrig als eine radikale Akzeptanz der momentanen Situation.

Die Mitarbeiter des Klinikums werden jetzt mehr denn je gebraucht. Sie stellen ihre eigenen Ängste und Sorgen hinten an, um für die Patientinnen und Patienten da zu sein und ihnen Zuversicht und Nähe zu vermitteln. Eine Organisation wie das Städtische Klinikum ist getragen von der Solidarität der Menschen, die hier arbeiten. Soziale Solidarität ist das, was uns durch die Krise trägt.