Ein Land voller Pioniergeist

Gespräch mit dem Daimler Gesamtbetriebsratvorsitzenden Michael Brecht über deutsche E-Autos und die langjährige Partnerschaft mit dem Europa-Park

Michael Brecht ist als Arbeitnehmervertreter eine der Schlüsselfiguren bei der Daimler AG: Seit 2014 ist er Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Daimler AG. Nach einem Besuch von Brecht im Europa-Park informierte sich Roland Mack bei seinem Gegenbesuch über das Daimler-Werk in Gaggenau und das weltweit einzigartige Unimog-Museum.

emotional pur sprach mit Michael Brecht.

Alle reden vom E-Auto und viele sind fasziniert von Teslas Vorsprung. Verliert Daimler den Anschluss bei der E-Mobilität?
Michael Brecht: Der Hype um Tesla ist schon eindrucksvoll. Natürlich setzt sich Elon Musk als Marke auch gekonnt in Szene. Dabei darf man nicht vergessen, dass Tesla mit seinen Autos allein immer noch wenig bis gar kein Geld verdient. Daimler ist im Vergleich dazu ein über 130 Jahre alter und großer Industriekonzern. Wir verdienen immer noch einen Großteil unseres Geldes mit Verbrennern. Diese Margen brauchen wir auch, um die teuren Investitionen in die Elektromobilität zu tätigen. Ich würde es eher so sagen: Wir sind beim Hochfahren der Elektromobilität sicherlich nicht in der Pole-Position gewesen. Zwischenzeitlich wird aber sichtbar, dass wir von Mercedes viele elektrifizierte Modelle anbieten, wie zum Beispiel den EQA, EQC oder den EQV – und viele weitere werden folgen. Und auch bei unseren Nutzfahrzeugen arbeiten wir konsequent an alternativen Antrieben – seien sie elektrisch oder mit der Brennstoffzelle betrieben.

Was macht Sie so zuversichtlich, mit Mercedes wieder an die Spitze zu kommen? Es geht ja letztlich um viele zehntausende Arbeitsplätze ...
Brecht: Wir haben im oberen Luxussegment die Spitze nicht verloren. Im elektrifizierten Bereich werden wir uns durch unsere Modellpolitik sicherlich auch an der Spitze wiederfinden. Ich bin hier sehr zuversichtlich, dass in wenigen Jahren die letzten Zweifler verstummen. Wir werden bei Mercedes im Elektrifizierungszeitalter mit unseren wettbewerbsfähigen Produkten absolut mithalten können. Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass der Mobilitätswandel hin zu alternativen Antrieben auch weniger Beschäftigung an den Aggregatestandorten bedeutet. Wir müssen jetzt Antworten darauf finden, wie wir diesen Transformationsbrüchen an unseren Standorten begegnen. Das heißt auch, dass wir eine Diskussion darüber führen, welche Fertigungstiefe wir an unseren Standorten künftig abbilden. Also die Frage, wie wir künftig mehr selbst produzieren als wir von außen zukaufen. Hier dient Tesla als Positivbeispiel: Dort wird alles selbst entwickelt und produziert. Auch wir brauchen das, damit auch in Zukunft ein Mercedes ein Mercedes ist, und kein Baukasten zugekaufter Teile. Hier sehe ich zusätzliche Chancen, Beschäftigung in der Zukunft zu sichern.

Hat die deutsche Autoindustrie einen technologischen Vorteil? Wenn ja, welchen?
Brecht: Hier fällt immer zuerst der Begriff „Deutsche Ingenieurskunst“ oder der Satz „Made in Germany ist noch was wert“. Ich glaube auch, dass Deutschland nach wie vor ein Land voller Pioniergeist und Erfindungsreichtum ist. Deutschland ist immer noch Europameister bei der Anmeldung von Patenten. Hier sind und bleiben wir sehr gut, da wir unter anderem hervorragende Kooperationen zwischen Autoindustrie und Hochschulen haben. International holen allerdings China und Südkorea rasant auf. Und genau hier ist der Nachteil. Bei vielen Schlüsseltechnologien wie Batteriezellen und Computerchips begeben wir uns in Europa in eine gefährliche Abhängigkeit von asiatischen Lieferanten. Hier braucht es eine europäische Antwort – nicht eine deutsche. Ich bin der Meinung, dass wir Schlüsselindustrien in eigener Verantwortung entwickeln, produzieren und liefern müssen. Das verkürzt auch Lieferwege und kompensiert globale Engpässe. Wenn wir über unsere Stärken im Automobilbau reden, möchte ich auch auf die hervorragende Zusammenarbeit mit dem Maschinenbau hinweisen. Wir sind gemeinsam immer noch in der Lage, die innovativsten und produktivsten Fertigungslinien aufzubauen – mit außergewöhnlicher Qualität. Das stärkt die deutsche Autoindustrie.

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Wie wird sich die Mobilität in Deutschland verändern, brauchen wir noch ein eigenes Auto künftig oder kommen komplett neue Mobilitätsformen?
Brecht: Wer sich von A nach B bewegen will, muss mobil sein. Das wird sich auch nicht ändern. Die Frage ist, wie diese Mobilität aussieht. In Ballungszentren ist Mobilität wichtiger als Besitz eines Fahrzeuges. Im ländlichen Raum ist das eigene Fahrzeug oftmals alternativlos, weil entweder der öffentliche Nahverkehr schlecht ausgebaut ist oder nur unregelmäßig zur Verfügung steht. Es wird zukünftig ein breiteres Angebot an Mobilitätsdiensten geben müssen. Es geht zum Beispiel darum, wie das Fahrzeug auch dann genutzt werden kann, wenn es ansonsten zu 95 Prozent der Zeit rumsteht. Es gibt schon erste Versuche einer Weitervermietung des Fahrzeugs während dieser Zeit. Unabhängig davon, welche Mobilitätsformen wir zukünftig haben werden, müssen diese für die Menschen bezahlbar sein, denn die individuelle Mobilität ist ein Grundrecht.

Sie sind ein Badener, in Karlsruhe geboren, helfen Sie uns doch mal bei den Begriffen: Wann heißt es Daimler, wann Daimler-Benz, wann Mercedes, wann Mercedes-Benz?
Brecht: Wir Badener schaffen „beim Benz“. In Stuttgart arbeiten sie „beim Daimler“. In Bremen und vielen anderen Standorten arbeiten sie „bei Mercedes“. Gottlieb Daimler war Schwabe, Carl Benz Badener. Deshalb gibt es diese sprachlichen Unterschiede. Übrigens: Die beiden haben sich persönlich nie getroffen. Wobei aus badischer Sicht klar ist, wer zuerst sein Patent angemeldet und somit das Auto erfunden hat.

Was verbindet einen Weltkonzern wie Daimler mit Deutschlands größtem Freizeitpark?
Brecht: Erst einmal glaube ich, dass jede unternehmerische Erfolgsgeschichte mit Persönlichkeiten beginnt, die einen hohen Pioniergeist haben und unternehmerische Risiken eingehen, um großartige Ideen und starke Visionen umzusetzen. Die DNA des Europa-Park hat ja auch mit Mobilität zu tun. Bereits im 18. Jahrhundert war es der Wagenbau, später waren es dann Attraktionen und Fahrgeschäfte für Jahrmärkte. Somit ist schon immer Bewegung in beiden Unternehmen im Kern verankert. Und dann ist da natürlich der gemeinsame Anspruch daran, stets das beste im jeweiligen Segment zu liefern und sich permanent weiterzuentwickeln. Das ist die Kunst, um langfristig erfolgreich zu sein. Hier sehe ich absolute Parallelen zwischen Daimler und dem Europa-Park – auch hinsichtlich neuer Technologien, die die Digitalisierung möglich macht. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass beide Unternehmen die vielfältigsten Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen bei sich vereinen. Deshalb bin ich als Europäer auch ein Fan vom Europa-Park.

Wie können Beide von Synergien gewinnen? Wie sehen Sie die langjährige Kooperation Europa-Park und Mercedes, zu der auch die Achterbahn „Silver Star“ zählt?
Brecht: Beim „Silver Star“ stand der Rennsport Pate. Dieses beeindruckende und weithin sichtbare Fahrgeschäft, genauso wie unser Rennsportbereich, sind auf Geschwindigkeit und technische Perfektion ausgerichtet. Das leitet uns bis heute. Und diese Gemeinsamkeit spürt man auch im „Silver Star“. Denn dort ist auch die „Mercedes-Benz Hall“ mit Exponaten und Attraktionen rund um den Rennsport angesiedelt, die für leuchtende Augen sorgt und eine positive Strahlkraft für Mercedes-Benz hat. Deshalb ist für mich diese Kooperation einzigartig. Übrigens war es der damalige und im vergangenen Jahr verstorbene Vorstand Jürgen Hubbert, der mit Roland Mack am Nürburgring das Baby „Silver Star“ geboren hat, dessen Name ganz bewusst an den legendären „Silberpfeil“ von Mercedes-Benz erinnert. Auch der „Silver Star“ hat das Zeug zur Legende. Bis heute haben 70 Millionen Menschen den „Silver Star“ erlebt – auch ich.

Was kann ein Familienunternehmen von einem Konzern ler-nen und umgekehrt?
Brecht: Wir haben bei Daimler weltweit fast 300.000 Beschäftigte. Das erfordert schon viel Organisation, Prozesse und Aufwand. Ich bin auch sehr beeindruckt von der Innovationsfähigkeit des Europa-Park und wie hier ständig neue Trends und Ideen geboren werden. Hier können wir sicher vom Europa-Park lernen, Abläufe effizient zu gestalten und konsequent den Kunden in den Fokus allen Handelns zu stellen. Im Europa-Park habe ich beim Kontakt mit den Mitarbeitern immer das Gefühl, in diesem Moment der wichtigste Kunde auf der Welt zu sein. Etwas mehr von dieser Einstellung würde ich mir auch im Umgang untereinander bei Daimler wünschen. Und was der Europa-Park von Daimler lernen kann? Es gibt hier hoffentlich einen starken Betriebsrat (lacht).


Roland Mack trifft Michael Brecht

Auf Einladung von Michael Brecht besuchte Roland Mack den Mercedes-Benz Truck-Standort in Gaggenau. Bei einer Führung erhielt der Europa-Park Inhaber spannende Einblicke in das älteste Automobilwerk der Welt und sein innovatives „TechLab“. Sowohl mit Blick auf Deutschlands größten Freizeitpark, als auch die produzierende Mutterfirma Mack Rides tauschten sich Roland Mack und Michael Brecht über den Einsatz von Augmented Reality im Produktionsumfeld sowie die Themen Big Data und Digital Factory aus.
Im September 2015 implementierte der Europa-Park als erster Freizeitpark weltweit die Virtual-Reality-Technologie auf einer Mack Rides Achterbahn und leistete mit „Coastiality“ bahnbrechende Pionierarbeit. Der über 230 Jahre alte Handwerksbetrieb Mack Rides in Waldkirch gehört indessen zu den Global Playern der Produzenten für die Freizeitparkbranche und exportiert Fahrgeschäfte aller Art in alle Kontinente. Ein besonderes Highlight und die Technik erlebbar machte eine Runde im Unimog-Testparcours im Gaggenauer Unimog-Museum.

Michael Brecht
wurde 1965 in Karlsruhe geboren. Er absolvierte eine Ausbildung zum Kfz-Schlosser bei Daimler-Benz in Gaggenau. Es folgten verschiedene Weiterbildungsmaßnahmen, unter anderem zum Refa-Sachbearbeiter. Im Jahr 2011 schloss er ein berufsbegleitendes Studium beim Malik-Management-Zentrum in St. Gallen als Master of Management ab. Von 1981 an war Michael Brecht Mitglied der Gaggenauer Jugend- und Auszubildendenvertretung und wurde 1985 zum Vorsitzenden der Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretung gewählt. Seit 1990 gehört er dem Betriebsratsgremium Gaggenau an, dessen Vorsitz er im Jahr 1998 übernahm. Seit 2. April 2014 ist er Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Daimler AG, gewählt bis 2023.