Der schönste Turm auf Erden

Die spektakuläre Sanierung des Freiburger Münsterturms/ Eine erhebende Erfolgsgeschichte/ Unterstützung durch die Familie Mack

Was wäre Freiburg ohne ihn? Den Turm des Münsters. 2018 ist er wieder auferstanden oder – prosaisch ausgedrückt – er wurde von einem Korsett befreit, das seinen oberen Teil, den so genannten Turmhelm, zwölf Jahre lang nahezu verhüllte. So lange war er wegen einer Sanierung hinter einem Gerüst versteckt. Seither strahlt er wieder in seiner himmelstürmenden Filigranität als „schönster Turm auf Erden“, wie ihn der Schweizer Kunsthistoriker Jacob Burckhardt (1818-1897) nannte. In normalen Zeiten ist er ein Besuchermagnet, mehr als 110.000 Besucher jährlich steigen die 333 Stufen auf den Turm hinauf.

Besonders die „durchsichtige Spitze“ gilt als architektonisches Meisterwerk der Gotik. Nach seiner Fertigstellung gehörte der Freiburger Münsterturm mit seinen 116 Metern sogar über ein Jahrhundert lang zu den höchsten Kirchenbauten und damit zu den höchsten Gebäuden überhaupt der damaligen Welt. Der „Zeigefinger Gottes“ in Freiburg ist einem herausragenden anonymen Architekten zu verdanken, womöglich aber war es der famose Erwin von Steinbach (1244-1318), Konstrukteur der Westfassade des Straßburger Münsters. Von 1270 bis um 1330 jedenfalls dauerte der Bau, mit dem die Freiburger Bürger auch den wachsenden Wohlstand ihrer Stadt aus dem florierenden Silberbergbau demonstrierten.

Der Weg zu Gott

Der Kirchturm ist beladen mit Symbolik. Beispielsweise steht die Transparenz des Steins womöglich für den Weg der Seele zu Gott, die Durchdringung der Materie durch seinen Geist.

Für die Mitarbeiter der Freiburger Münsterbauhütte und Münsterbaumeisterin Yvonne Faller stehen allerdings die bautechnischen Aspekte im Vordergrund. Gearbeitet wird an dem Sakralgebäude immer. So musste im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Skulpturen und Ornamente aufgrund von wetterbedingten Schäden durch Kopien ausgewechselt werden. Bereits zwei Jahre vor Beginn der Sanierung war für den gesamten Turmhelm mit seinen etwa 2.000 Steinen ein exaktes Computermodell erstellt worden, unter anderem mit Hilfe eines Helikopters. Jeder Stein wurde eingescannt. Der beachtliche Befund auf Basis der Pläne und der Bestandsuntersuchungen: 83 Prozent des heutigen Bestands stammt noch aus dem hohen Mittelalter, mehr als an jedem anderen gotischen Maßwerkturm.

Die letzten umfassenden Turmsanierungen hatten von 1913 bis 1922 sowie 1960 bis 1965 stattgefunden. Im Sommer 2005 stürzte jedoch eine kleine Maßwerknase auf die Besucherplattform. Eine Kontrollbegehung ergab, dass eine ganze Reihe von Steinen von zum Teil haarfeinen Rissen durchzogen oder gebrochen waren. So kam es ab 2006 zu der Sanierung.

Unter der Leitung der Projektleiter Thomas Laubscher und seines Nachfolgers Tilman Borsdorf, arbeitete von 2006 bis 2018 ein Spezialteam aus 30 Steinmetzen, Restauratoren, Denkmalpflegern, Ingenieuren und Bauforschern aus dem gesamten Bundesgebiet, der Schweiz und Österreich auf dem luftigsten und vielleicht schönsten Arbeitsplatz der Republik. Mehr als 30 Kubikmeter neuer Sandstein wurden versetzt. Ersetzt wurde dabei nur das unbedingt Nötigste, insgesamt waren es 121 Steine und 225 Teilstücke. Die Münsterbauhütte fertigte die neuen Steine selbst im traditionellen Steinmetzverfahren. Gänzlich gerüstfrei war der Turm zuletzt zwischen 1996 bis 2006 zu sehen, von da an blieb sein berühmter Helm für zwölf Jahre nahezu verschwunden. Die Denzlinger Firma Paul Becker montierte das hängende Gerüst, ließ es schließlich bis zur Höhe des goldenes Ensembles von Stern und Sichelmond auf der Münsterspitze hinaufwachsen.

Spektakulärste Maßnahmen nicht zu sehen

Zudem ist die Reinigung der Steine für Außenstehende das wohl auffälligste Resultat der Sanierung. Die spektakulären statischen Maßnahmen bleiben hingegen im Wesentlichen unsichtbar. Am 27. November 1944 hatte das Münster sogar die verheerende Bombardierung Freiburgs weitgehend unbeschadet überstanden – doch nun zeigten die Untersuchungen, dass die Windlasten, die über die Jahrhunderte an den Ecksteinen als Knotenpunkten wirkten, zu Schäden im Stein geführt hatten. Die Stabilität des gesamten „Turmhelms“, der luftig konstruierten 40 Meter hohen Turmspitze, war gefährdet. Mehrere Ecksteine, auf denen ein Großteil des Gewichts des insgesamt 620 Tonnen schweren Turmhelms liegt, waren beschädigt.

Diese für die Statik entscheidenden Elemente stellten die Turmsanierer vor ihre größte Herausforderung. Erstmals in 700 Jahren wurde intensiv in das statische Gefüge des Turms eingegriffen, quasi eine „Operation am offenen Herzen“.

Röntgen- und Radarverfahren kamen zum Einsatz, aufwendige Berechnungen wurden erstellt und lange Debatten geführt. Eine Idee sah vor, den Turm durch ein von außen sichtbares Stahlkorsett zu stützen, doch sie kam glücklicherweise nicht zum Zuge. Anstelle eines großen Eingriffs gab es viele kleine, gezielte Maßnahmen. Bewiesen wurde dabei auch die perfekte Tragfähigkeit des mittelalterlichen Bausystems.

Ideal waren die ursprünglichen Materialen aufeinander abgestimmt, die festgestellten Schäden vor allem Folgen von Materialermüdung. Die Bewunderung für die mittelalterlichen Bauleute wuchs. Nicht durch ausgeklügelte Berechnungen waren sie an ihr Ziel gelangt – einzig durch Versuch und Erfahrung. Also begab man sich auf die Suche nach Materialien, die der mittelalterlichen Situation so nahe wie möglich kamen: Steine aus dem Neckartal, Kalkmörtel und sogar Titan. An 16 der insgesamt 64 Ecksteinen wurden durch präzise Bohrungen so genannte Bandagen eingesetzt, acht Ecksteine mussten komplett ausgetauscht werden. Es waren heikle, nervenzehrende Maßnahmen, lastete doch auf jedem der Teile ein Gewicht von bis zu 40 Tonnen, das während des Ein- und Ausbaus umgeleitet werden musste. Dabei stellte sich immer wieder auch heraus, dass Schäden eher bei Steinen aus vorherigen Sanierungen, etwa aus den 1920er und 1960er Jahren, aufgetreten waren. Die ursprünglichen Materialien aus dem 14. Jahrhundert waren hingegen verblüffend gut erhalten.

Wie Roland Mack unterstützte auch Papst Benedikt XVI. die Sanierung (Das Bild entstand beim Papstbesuch in Freiburg 2011).

Dinner-Shows im Europa-Park halfen mit

Rund 11,5 Millionen Euro kostete die Sanierung. Etwa die Hälfte der Summe wurde durch Spenden gedeckt. Der prominenteste Spender war sicherlich Papst Benedikt XVI., der im Frühjahr 2007 eine Steinpatenschaft übernahm. Zu den besonders engagierten Unterstützern zählte auch die Familie Mack. Sie hat sich mit einer großzügigen Summe an den Sanierungskosten beteiligt. Insbesondere ihre Benefiz-Aktionen im Europa-Park – zahlreiche Dinner-Shows in der Vorweihnachtszeit mit exquisiten Vier-Gang-Menüs – erbrachten einen erfreulichen sechsstelligen Beitrag.

Ein architektonischer Dauerpatient wird das Freiburger Wahrzeichen auch in Zukunft bleiben, aber seine bislang wichtigste Operation hat der Turm gut überstanden. Für weitere Jahrhunderte ist er gut gerüstet.

Der Antrag, die führenden europäischen Münsterbauhütten als immaterielles Kulturerbe ins UNESCO-Register „Guter Praxisbeispiele“ aufzunehmen, wurde im Dezember 2020 angenommen. Auch der Turm selbst würde das Welterbe-Prädikat verdienen. So oder so, für die Freiburger bleibt er der „schönste Turm auf Erden“ und seine Sanierung eine der erfreulichsten Geschichten der ersten zwei Dekaden des 21. Jahrhunderts. Chapeaux!

Freiburger Münsterbauverein e.V.

Bei der Finanzierung seiner Arbeit und somit der Bauunterhaltung des Freiburger Münsters ist der Münsterbauverein auf öffentliche Zuwendungen angewiesen. Zuwendungsträger sind das Erzbistum Freiburg, das Land Baden-Württemberg, die Stadt Freiburg sowie Stiftungen. Einen beträchtlichen Teil muss jedoch der Münsterbauverein durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Vermächtnisse beitragen.
Die Münsterbauhütte ist ein seit über 800 Jahren durchgehend bestehender Steinmetzbetrieb, der im Mittelalter für die Planung sowie den Bau des Münsters zuständig war und seit seiner Fertigstellung für die Erhaltung und Sanierung des Bauwerks sorgt. Zu den Beschäftigten zählen Steinmetze, Steinbildhauer und Restauratoren. Außerdem ist die Münsterbauhütte Ausbildungsbetrieb für Steinmetze und Bildhauer.

Auf dem Gelände der Münsterbauhütte befindet sich ein Hüttenmuseum, das eine umfassende Sammlung von Originalen, Skulpturen und Gipsabgüssen enthält. Der Münsterladen besteht seit dem Jahr 2000 und bietet eine Fülle von teilweise exklusiven Artikeln rund um das Freiburger Münster, auch via Onlineshop.

Das Besondere: Mit jedem Einkauf wird die Erhaltung des Bauwerks unterstützt, denn der Münsterladen wird vom Münsterbauverein betrieben, sodass die Erlöse direkt in die Sanierungsarbeiten am Münster fließen.
muensterbauverein-freiburg.de
muensterladen-freiburg.de

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Yvonne Faller leitete bis 2020 den Münsterbauverein. Für Roland Mack ist das Münster von hoher emotionaler Bedeutung.

Roland Mack:
“Das Freiburger Münster ist für ein unglaublich beeindruckendes Bauwerk. Für mich ist es eigentlich unfassbar, wie die Menschen damals ohne die Technik von heute solch ein Gebäude erstellen konnten. Diese Faszination zieht sich über Jahrhunderte. Mich als Freiburger „Bobbele“ begleitet das Freiburger Münster seit ich Kind bin. Egal, wo ich in der Gegend bin, suche ich, seit ich klein war, nach dem Freiburger Münsterturm, ob auf dem Kandel, ob ich nach Freiburg reinfahre oder in Rust auf einem erhöhten Punkt: Ich schaue immer, ob ich den Münsterturm sehe. Das ist für mich ein sehr emotionales Symbol für Freiburg und unsere Heimat. Was mich emotional sehr berührt hat: Im Krieg war die gesamte Freiburger Altstadt kaputt und dem Münster ist bei der Bombardierung nichts passiert. Seit vielen Jahren unterstütze ich die Münsterbauhütte und wenn ich ein hochwertiges Geschenk brauche, nehme ich oft einen Original Stein aus dem Freiburger Münster. Auch langjährige Mitarbeiter bekommen den Münsterbaustein.“