Nachhaltig durch den Park dampfen

Die Panoramabahnen des Europa-Park werden elektrisch

Sie kann Dampf ablassen und piepen wie ein ganz Großer. „Wichita – Kansas“ steht an ihr geschrieben und die Jahreszahl „1863“ – so als ob sie schon durch den Wilden Westen geschnauft wäre. Ganz so alt ist sie zwar nicht, aber immerhin hat sie bereits fast ein halbes Jahrhundert auf ihren Schienen verbracht. Dennoch steckt in ihr alles andere als eine Technik von anno dazumal: Die Panoramabahn im Europa-Park wird vielmehr elektrisch. Seit der Öffnung des Europa-Park 1975 fahren Panoramabahnen die Besucher quer durch den Park – bislang gezogen von Dieselloks. Insgesamt fünf sind im Einsatz, jeweils fast 90 Besucher passen auf einen Zug. Bis Ende 2021 werden alle Lokomotiven auf elektrischen Antrieb umgestellt, bei zwei Zügen ist die Modernisierung bereits abgeschlossen. „Die Motivation dahinter ist ein umweltfreundlicher Antrieb“, erklärt Volker Klaiber, Geschäftsleitung und Direktor Operation & Service. „Die Bahnen werden abgas- und geruchsfrei.“ Das Projekt zeigt damit, wie der Europa-Park Spaß und Nachhaltigkeit unter einen Hut bringt.

Die Umstellung vollzieht sich in einem höchst komplexen und innovativen Prozess. „Zum Beispiel muss der Rahmen jeder Lok komplett verändert werden, damit der Einbau der neuen Komponenten überhaupt möglich ist“, erläutern Steffen Kasten, Leiter Mechanik, und Patrik Spoth, Assistenz der Betriebsleitung in der Elektrotechnik. „Und die ganze Technologie, die dann eingebaut wird, ist eine Zusammensetzung aus hunderten Prototypen, die eigens dafür entwickelt und gebaut werden.“
Neben Park-Abteilungen sind als Partner das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und der Antriebshersteller SEW-Eurodrive mit Hauptsitz im nordbadischen Bruchsal an dem seit rund zwei Jahren laufenden Projekt beteiligt.

Weltweites Referenzprojekt für SEW

Die Erkenntnisse unter anderem zu Strecken- und Höhenprofilen aus einer Masterarbeit von Martin Böhme, Student des Wirtschaftsingenieurwesens am KIT, flossen als Grundlagen ein. „Im Park gibt es viele Bahnübergänge, deshalb können wir keine Oberleitungen verwenden“, beschreibt Böhme einen Aspekt der Umstellung. Daher wurden eigens vier Ladeeinheiten pro Bahnhof im Boden verlegt. Die bereits im Betrieb befindlichen Elektro-Loks werden bei jedem Halt im Bahnhof induktiv, also berührungsfrei, geladen, nachdem sie automatisch aufgefahren sind. „Wir laden ein Prozent in einer Sekunde, das ist sehr viel“, erläutert Kasten. „Dass wir Induktionsspeicher statt Lithium-Batterien einsetzen, ist ein zusätzlicher Nachhaltigkeitsaspekt“, fügt Spoth hinzu. „Die Technik hält viel länger und kann deutlich umweltverträglicher entsorgt werden.“ Zudem werden die Züge nun mit energiesparenden LED-Lampen beleuchtet.

Thomas Mack , Geschäftsführender Gesellschafter Europa-Park:

„Die Modernisierung der Panoramabahn zeigt, wie stark das Thema Nachhaltigkeit in unserer Unternehmensführung verankert ist. Bei der sehr aufwendigen Umstellung der Züge von Diesel auf Elektro kommen etliche Nachhaltigkeitsaspekte zum Tragen – vom Umweltschutz bis zum schonenden Umgang mit Ressourcen. So führen wir eine sehr beliebte traditionelle Attraktion nachhaltig in die Zukunft.“


Das inhabergeführte Familienunternehmen SEW-Eurodrive zählt mit mehr als 18.000 Mitarbeitern und Niederlassungen in 52 Ländern zu den international führenden Anbietern von Antriebstechnologie. Alleine in Deutschland beschäftigt SEW rund 5.500 Mitarbeiter, darunter sind mehr als 1.400 Ingenieure und Informatiker sowie etwa 800 Forscher und Entwickler. Bereits seit 1931 gestaltet das Unternehmen aus Baden die industrielle und technische Entwicklung maßgeblich mit, es nennt sich selbst einen „Schrittmacher auf dem Gebiet der Antriebsautomatisierung“. Konzepte wie das Baukastensystem, der Vormarsch der Elektronik und neue Verfahren haben demnach über Jahre die Antriebstechnik als eine Säule der Automatisierung revolutioniert – und stets ist SEW bei diesen Entwicklungen mit führend gewesen. Schon seit 2002 bietet SEW-Eurodrive besondere Energiesparmotoren und mit seinem Standard-Motorbaukasten sind weltweit Millionen von Antriebskombinationen umgesetzt worden. Auch beim Zukunftsthema „Industrie 4.0“ mischt das Traditionsunternehmen ganz vorne mit. Wie sieht die Fabrik der Zukunft aus? Sicher so ähnlich wie jetzt schon die Elektronik-Fertigung bei SEW in Bruchsal. Selbstfahrende Transportwagen gleiten dort wie von Geisterhand gesteuert durch die Halle und bringen neue Bauteile zu den Fertigungsinseln. Softwaresysteme, die unter anderem eine Maschine-zu-Maschine-Kommunikation ermöglichen, führen bereits dazu, dass Aufträge zu ihrer Abarbeitung quasi eigenständig den Weg durch die Fabrik finden, durch alle Stationen, vom Wareneingang bis zum Versand.

Für das E-Lok-Projekt im Europa-Park liefert SEW Motoren, Getriebe und Steuerungen für die Panoramabahn. „Gleich mehrere Abteilungen arbeiten an der nachhaltigen Neuausrichtung der Bahn mit“, erläutert Bertwin Ley, SEW-Kundenbetreuer für den Europa-Park. Da viele der benötigten Teile ganz neu entwickelt werden, fließen die Erkenntnisse auch in laufende Produktinnovationen – etwa in der Speichertechnologie oder bei einem neuartigen mechatronischen Antriebssystem – ein. „Es geht bei der Panoramabahn insbesondere darum, diverse Neuentwicklungen und bestehende Produkte in einer Anlage miteinander zu kombinieren“, erklärt Hans Krattenmacher, Geschäftsführer Innovation Mechatronik bei SEW-Eurodrive. „Daher ist die Zusammenarbeit mit dem Europa-Park für uns ein Referenzprojekt mit großem Potenzial weltweit.“

Dampf wie im Wilden Westen

Im Europa-Park hört man derweil die Panoramabahnen schon von Weitem in einen ihrer Bahnhöfe in den Themenbereichen Deutschland, England, Spanien oder Russland einfahren. „Tut-Tut“: Auf das besondere Nostalgie-Feeling, das die Bahnen ausstrahlen, müssen die Gäste bei all den Modernisierungen nicht verzichten. Es wird sogar noch verstärkt. So imitieren eingebaute Sound-Systeme die Geräusche einer echten Westernbahn. Außerdem stoßen die Loks Dampf aus, eben wie jene Schlachtrösser, die einst durch den Wilden Westen stampften. Dazu wird Leitungswasser mithilfe von Ultraschall in feine Partikel zersetzt, so dass ein Nebel wie bei einer echten Dampflok entsteht. „Rund ein Jahr lang hat ein Mitarbeiter daran getüftelt“, sagt Volker Klaiber.

von Christoph Ertz