Kurswechsel: Segeln statt Alkohol

Weltumsegler Burghard Pieske gibt gestrandeten Jugendlichen neue Lebensperspektive

Es ist für Burghard Pieske und seine Frau Silke jedes Mal ein ganz besonderer Moment, wenn sie während ihrer Besuche im Europa-Park im Restaurant „Bubba Svens“ das legendäre Schiff betrachten, mit dem der mehrfache Weltumsegler auf den Spuren des Wikingeranführers Leif Erikssons unter anderem über den Nordatlantik nach Amerika segelte. Sein nach historischen Vorbildern gebautes Drachenboot „Viking Saga“ schrieb Geschichte(n), die keineswegs unter die Rubrik Seemannsgarn fallen. Burghard Pieske folgte im Kielwasser der Wikinger den Nordatlantikrouten: Von Norwegen nach Island, nach Grönland und schließlich bis an die nordamerikanischen Küsten. Es war ein eigentlich unglaubliches maritimes Wagnis, das weltweit Aufsehen und ungläubiges Staunen erregte.

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Im Hotel „Krønasår“ hat das 13 Meter lange Schiff aus Eichenholz, das nach seiner Zeit auf See rund ein Jahrzehnt lang als mobiles Ausstellungsobjekt viel zum neuen Verständnis der Wikingerkultur beitrug, seinen endgültigen Hafen gefunden. „Ich könnte mir keinen besseren Ort vorstellen“, betont Burghard Pieske. Er habe die „Viking Saga“ gern der Familie Mack überlassen, als die Anfrage im Zusammenhang mit der Ausstattung für das neue Hotel „Krønasår“ kam. „Ich stelle mir vor, die Gäste sitzen an der festlichen Tafel im Bubba Svens, schauen nach oben zum Expeditionsschiff und erleben so fast hautnah Geschichte, noch eindrucksvoller, als wenn das Schiff in einem Museum neben vielen anderen Exponaten gezeigt würde.“ Es passe wunderbar zu dem Gesamtkonzept des Hauses als „Museumshotel“, Besuchern eine neue Sichtweise zu vermitteln.

„Neue Sichtweisen“, beziehungsweise neue Perspektiven, hatten diesmal Burghard Pieske in den Europa-Park geführt. Marianne Mack hatte ihn als Referenten für ihre Vortragsreihe unter dem Motto „Neue Perspektiven“ eingeladen. Schon seit zwölf Jahren engagiert sich die Ehefrau von Europa-Park-Chef Roland Mack mit ihrem Verein „Santa Isabel“ für hilfsbedürftige Familien und Kinder. Immer wieder gelingt es ihr, namhafte Referenten für die Vortragsabende zu gewinnen, die zugunsten des Projekts auf ein Honorar verzichten. Der Eintrittspreis kommt in voller Höhe der Stiftung zugute.

Zu Kindern beziehungsweise Jugendlichen in Ausnahmesituationen hat Burghard Pieske ein ganz besonderes Verhältnis. „Gewalttäter, Junkies, Schläger, Dealer“, zählt der quirlige Seefahrer mit dem goldenen Ring im Ohr gemütlich auf. Es ist vielleicht das bisher abenteuerlichste Projekt des 76-jährigen Lübeckers, dessen Leben Stoff für eine ganze Reihe von Drehbüchern liefern würde. Er war einfacher Matrose bei der Handelsmarine, erwarb das Kapitänspatent, studierte dann auf Druck der Familie Geographie und Pädagogik „auf Lehramt“, schmiss nach einigen Jahren die gesicherte Beamtenlaufbahn hin, um – unter anderem – zehn Jahre lang mit seinem selbst gebauten Katamaran „Shangrila“ die Welt zu umsegeln. Er hat in Neuseeland und den USA gelebt, fühlt sich in Grönland zu Hause und liebt die Südsee. Jede Reise – oder besser jede Expedition – brachte ihm neue Perspektiven auf das Leben, das er immer noch genau so aufregend findet wie als junger Mensch. „Neugier und eine positive Lebenseinstellung“, antworten Silke und Burghard Pieske wie aus der Pistole geschossen auf die Frage nach der Triebfeder eines derart abenteuerlichen Lebens. 

Zwischendurch gab es auch mal ruhigere Phasen, wenn Pieske an seinen Büchern und Artikeln schrieb oder als Berater bei Filmprojekten arbeitete. Die „Wickie“-Filme brachten den Wikinger aus Leidenschaft vor rund zehn Jahren auch erstmals mit der Familie Mack zusammen.

In einem Boot

Nun berichtete er also Marianne Mack und ihren Gästen von seinem weltweit einmaligen Jugendprojekt, das wohl außer ihm auch kaum jemand so glaubhaft durchziehen könnte. „Segeln statt Saufen, Rudern statt Raufen“ lautet die Devise, unter der bisher über 70 Jugendliche eine neue Lebensperspektive gewonnen haben. Aus einem Haufen verbitterter, einsamer und zutiefst misstrauischer Jugendlicher wird in drei Wochen eine Mannschaft, in der sich jeder blind auf den anderen verlassen kann. Sie sitzen nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes in einem Boot mit ihrem Käpt’n und einigen Betreuern – sie rudern, ziehen, schleppen und kämpfen sich durch Sümpfe, Seite an Seite mit dem zähen Mann mit dem weißen Bart, der so gar nichts von einem „Opa“ an sich hat. 3.000 Kilometer misst zum Beispiel die Route von der Ostsee ins Schwarze Meer, die zu dem Programm von „Euro Viking“ gehört. Rund drei Wochen ist das nachgebaute Wikingerschiff das Zuhause der Jugendlichen, die in den ersten Tagen schnell an ihre Grenzen geraten – physisch und psychisch. 50 Kilometer beträgt das Tagessoll – allen Hindernissen zum Trotz. 

Am Ende des Tages erwartet ein von dem per Straße mitgereisten Begleitteam errichtetes Camp die Gruppe. „Jeder Abend bringt magische Momente mit sich“, erzählt Pieske, „wenn jeder mit seinem Tee – Alkohol ist natürlich tabu – am Feuer sitzt, und wir den Tag Revue passieren lassen.“ Dann ist nämlich Zeit für etwas, das kaum einer dieser coolen Typen bisher kannte: Anerkennung! Gelobt werden besonderer körperlicher Einsatz oder Geschicklichkeit, aber auch die berühmten „Soft Skills“ wie das Eingehen auf die Schwächen anderer, ohne sie auszunutzen.

„Viele Millionen Euro dürften wir Vater Staat im Laufe der Jahre an Sozialhilfe, Hartz IV und Unterbringung in Strafanstalten erspart haben“, meint Pieske, dessen Verein sich ausschließlich über Spenden finanziert. Dazu kommen Buch- und Vortragshonorare – gelegentlich auch bei Kreuzfahrten, die eigentlich so gar nicht das Ding dieses unermüdlichen Abenteurers mit dem großen Herzen sind. Da gefällt ihm der Europa-Park schon erheblich besser: „Hier ist alles authentisch, getragen von Menschen mit einer Mission.“

von Irene Schröder