Ein magischer Platz

Die „heiligen“ Quellen in Ettenheimmünster liegen nur wenige Kilometer vom Europa-Park entfernt

Das siebte Jahrhundert war keine Zeit, in der man gern gelebt haben möchte. Der Osten des Frankenreiches war dünn besiedelt und von Sümpfen sowie dichtem Wald bedeckt. Das Christentum hatte es schwer. Wild und ungebärdig waren die Germanen, größtenteils Heiden. Ihre Herrscher, die Merowinger, waren zwar Christen, aber selten weise und friedfertig.

In Ochsenkarren fuhren sie übers Land und brachten sich bevorzugt gegenseitig um. Über den Rhein kamen sie selten, ins nur oberflächlich unterworfene Alemannien schickten sie Krieger und Glaubenszeugen. Ihr berühmtester, der heilige Columban, war Ire, ein Königssohn, wie es hieß, was durchaus möglich ist, denn auf der Kelteninsel gab es viele Könige – und noch mehr Mönche.

Unter weißen Segeln in winzigen Booten kamen sie von Irland und Schottland übers Meer, praktizierten die „weiße Passion“, die nicht selten rot endete. Sie wanderten – mit kahl rasiertem Vorderhaupt – oft barfuß oder in Sandalen durch die Wälder, sie gründeten Klöster und Einsiedeleien – Cellae genannt –, sie brachten die Glocken ins Land. Columbans berühmter Schüler Gallus lebte und lehrte oberhalb des Lagus Brigantinum. Erste Spuren vom heiligen Landelin führen dagegen zunächst in ein Tal jenseits des Rheins, nahe Stratoburgo, dem heutigen Straßburg. Wer hatte ihn gerufen, wer schützte ihn, diesen regionalen Glaubenszeugen? Wir wissen es nicht. Er war einer von vielen, und vielleicht wäre er – ob Ire oder Alemanne – von der Geschichte unbemerkt geblieben, wäre sein Ende kein Martyrium gewesen.

Landelin trägt auf den Statuen aus späterer Zeit eine Krone – es ist nicht nur die des Märtyrers. Auch er soll ein Königssohn gewesen sein. Seine Geschichte ist rasch erzählt. Nach seiner Zeit nahe Stratoburgo zunächst bei einem Christen namens Edulph in der Ortenau lebend, soll er sich vor 640 in die Einsamkeit des Waldes zurückgezogen haben, tief ins Undiztal. Unterhalb der hölzernen Gysenburg, auf der ein alemannischer Edling namens Gisko hauste, baute er sich sein bescheidenes Hüttchen. Entsprechend der Tradition der keltischen Mönche suchte er die Nähe Gottes in der Natur, die ihm offenbar nicht feindlich gesinnt war. Der Legende nach fraßen ihm die Tiere aus der Hand.

Dies verdross den Jäger des Stammesfürsten Gisko. In einem Wutanfall hetzte er seine Hunde auf ihn. Aber die sanken zahm zu Landelins Füßen nieder. Überzeugt, einen Zauberer vor sich zu haben, zog der Jäger sein Schwert und schlug dem frommen Mann den Kopf ab. An dem Platz, an dem Landelin leblos niedersank, so will es die Legende, traten fünf Quellen aus dem Grund; eine am Kopf und je eine an beiden Händen und Füßen. Wandernde Frauen, darunter die Tochter des Edulph, sollen den Ermordeten gefunden und an der Stelle begraben haben, an der ihnen der Leichnam zu schwer wurde – dort, wo heute die Dorfkirche von Münchweier steht. An der Stelle seines Todes erhebt sich die barocke Wallfahrtskirche des verschwundenen Klosters Ettenheimmünster, heute ein Ortsteil von Ettenheim unweit des Europa-Park. In deren Gewölbe hat der Maler Anton Morath die beschriebenen Szenen um 1765 auf dramatischen Deckenfresken festgehalten.

Augenlicht zurückgewonnen

Zu sehen ist darauf auch, wie die blinde Tochter einer der Frauen durch das Blut des Heiligen ihr Augenlicht zurückgewinnt. Schon seinen ersten Verehrern galt der selige Landelin als Helfer gegen Gicht und Augenleiden. Wunder sollen sich früh an seinem Grab ereignet haben, weshalb um die Einsiedlerklause schnell eine geistliche Gemeinschaft wuchs, welche der Bischof von Straßburg 762 in ein Benediktinerkonvent überführte. Das Grab des Volksheiligen liegt noch immer unter dem Chor der Kirche im nahen Münchweier. Auf der sandsteinernen Deckplatte aus dem frühen 17. Jahrhundert liest man die Worte: „Ich, Landelin, war einst Einsiedler, war hier Märtyrer, mich bedeckt dieses Grab. Durch mich gab Gott gnädig Kranken die Heilung, er wird auch deine Bitten empfangen.“ Bis nach Straßburg und weit ins Elsass reichte der Kult des Glaubenszeugens, in Ettenheimmünster ist er noch immer lebendig. Zum Todestag des Heiligen, am 22. September, wird das prachtvolle silberne Büstenreliquiar aus dem frühen 16. Jahrhundert bei einer Reiterprozession durch den Ort getragen. Ein Feiertag mit Lichterprozession, Festgottesdienst, Weihrauch und Pferdesegen. Eine Schule in Ettenheim ist nach dem Volksheiligen benannt, Messen werden regelmäßig in seiner Wallfahrtskirche für ihn gelesen.

Besonders das barocke Brunnenhaus im Westen der Kirche erfreut sich anhaltender Beliebtheit, nicht nur bei den Einheimischen. Von nah und fern kommen Besucher, um aus den vier Brunnenröhren Flaschen und andere Behälter aufzufüllen, wie an der Quelle der Heiligen Ottilie am Mont Saint Odile im nahen Elsass. Das Wasser beider Heiliger soll gegen Augenleiden helfen. Schon lange vor der Ankunft des Landelin mag an diesen Stellen ein keltisches Quellheiligtum verehrt worden sein, das später Teil der christlichen Heiligenlegende wurde.

Wälle und Befestigungen aus vorchristlicher Zeit gibt es zuhauf in den Wäldern in der Region um den Europa-Park, möglicherweise auch frühe heidnische Kultstätten, wie die Burg „Heidenkeller“, um die sich manche Sage rankt, wie die eines Schatzes, der sich nur in der Christnacht zeigt. Wohl nicht zufällig hat es den frommen Einsiedler Landelin wohl in eben diese Gegend verschlagen, womöglich wollte er sich im Kampf mit den „alten Göttern“ messen.

Gegen Kopfschmerzen

Die Quelle in Ettenheimmünster ist immer gut besucht. Vor allem Menschen aus der Region kommen regelmäßig hierher. Es ist ein wunderschöner sonniger Vormittag. Aus der herrlichen Barockkirche dringt der helle Klang einer Silbermannorgel.

„Das Wasser ist auch gegen Kopfschmerzen gut“, sagt Martin, der an diesem Samstag mit seinem Pick-up aus Kappelrodeck herüber gekommen ist und sich schon die dritte Plastikflasche füllt. Seine Frau leidet seit Jahren an Migräne und chronischen Kopfschmerzen – und sie schwört auf Landelins Wasser. Medizinisch sei die Heilwirkung zwar nicht nachgewiesen, aber seine Frau Jutta sei überzeugt davon, dass ihre Beschwerden schon nach wenigen Schlucken nachließen. Erstaunliche vier bis fünf Liter fließen minütlich durch die in die vier Himmelsrichtungen ausgerichteten Ausgüsse in der schlichten Brunnenkapelle: Ein weiches, kaltes, leicht säuerliches, mineralstoffarmes Wasser aus der Tiefe des Buntsandsteins – deshalb auch im Sommer kaum wärmer als zehn Grad und von formidabler Qualität. Herz und Geist stärkende Eigenschaften werden ihm zugeschrieben, vor allem auch gute für die Sehkraft und das Augenlicht. Die Heilwirkung des Landelin-Wassers schöpft aus dem spirituellen Bereich.

Von jeher galten Quellen als Ort der Begegnung mit dem Göttlichen, respektive den magischen Kräften der Erde. So verwendet die alte hebräische Schrift das gleiche Zeichen, „Ajin“, für Quelle und Auge. In vorchristlichen Zeiten mag es auch an diesen Quellen Weissagungen gegeben haben. Das Christentum kennt die Vorstellung vom Licht des Glaubens, das die Blinden sehend macht. Eingegangen ist diese Vorstellung in die Legende des (erfundenen) Heiligen Longinus, jenes vermeintlich erblindeten römischen Offiziers, dem das Blut Christi auf die Lider fiel, worauf er sehend und alsbald ein christlicher Märtyrer wurde. Vom sehend machenden Wasser berichtet auch die Legende von der blind geborenen elsässischen Herzogtochter Odilie, die bei ihrer Taufe durch den Bischof von Regensburg im Kloster Palma, dem heutigen Beaume-les-Dames, plötzlich sehend wurde.

Heilige Quellen und „wundertätige“ Orte gibt es viele in Deutschland, die Sogkraft von Ettenheimmünster hält sich da eher in regionalen Grenzen. Zwischen Freiburg und Karlsruhe ist Landelins Wasser bekannt, auch unter Nichtchristen. Ettenheims Bürgermeister Bruno Metz hat keineswegs vor, mit der Quelle zu werben oder sie etwa kommerziell zu nutzen: „Über die besonderen Kräfte des Wassers gibt es historische Schilderungen.“ Vielleicht helfe ja manchmal auch der Grundsatz „der Glaube versetzt Berge“. Er und die Stadtverwaltung von Ettenheim wollen auch künftig ihr Bestes tun, dass die Quellen rein bleiben. 

Landelins Kloster diente zuletzt als Zigarrenfabrik, aber der Glaube an die Macht des Heiligen und seines wohltätigen Wassers wird wohl auch in Zukunft nicht in Rauch aufgehen. Und ist es nicht häufig der Glaube, der hilft – gerade auch in Zeiten wie diesen?

von Stefan Tolksdorf