Die Piraten sind zurück

Mit viel Leidenschaft und Herzblut lässt der Europa-Park die Themenfahrt „Piraten in Batavia“ wiedererstehen

Eine blonde Locke kringelt sich unter seinem roten Piratentuch hervor. In seiner aufrechten, entschlossenen Pose könnte er auch einen Viermaster auf hoher See dirigieren. Doch seine Aufgabe ist es, die Gäste zu begrüßen. Sein – wie er selbst sagt – hübsches, von einem vollen Bart mit überlappendem Schnauzer eingerahmtes Gesicht wird in jedem Hafen auf der ganzen Welt gesucht – tot oder lebendig. Aber gegen den Vorwurf, ein Pirat oder Dieb zu sein, verwehrt er sich entschieden: „Ich bin Abenteurer“, stellt Bartholomeus van Robbemond klar. „Ich stehle doch nicht aus Gier, sondern, um die Geheimnisse dieser Welt zu beschützen.“ Dabei bewegt er sich leicht, sein Blick ist nun in die Ferne gerichtet. Und dann unterstreicht er mit einem Nicken: „Deshalb geht meine nächste Reise nach Batavia!“ Ab 2020 kann bei dieser Reise jeder Europa-Park-Besucher mitkommen. Dann sind die „Piraten in Batavia“ zurück – als „Piraten 2.0“ in einer modernen Version, die das Abenteuer noch viel aufregender macht und zugleich die Tradition bewahrt. Damit erfüllt der Park einen ausgesprochenen Herzenswunsch vieler seiner Besucher.

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Oh nein! Ausgerechnet die Piraten – so empfanden es viele Europa-Park-Freunde, als die Attraktion „Piraten in Batavia“ beim Großbrand 2018 ein Raub der Flammen geworden war. „Die Piraten waren ein Teil meiner Kindheit“, brachten nicht wenige ihre Trauer zum Ausdruck. Seit 1987 erlebten die Besucher hier aufregende Bootsfahrten, vorbei an einer Seeschlacht, durch den ostindischen Dschungel und natürlich durch das von einem Seeräuberüberfall heimgesuchte Batavia, der heutigen indonesischen Hauptstadt Jakarta. Entlang des Wasserrides lieferten sich mechanische Puppen, sogenannte Animatronics, Schießereien, Wirtshausprügeleien und viele weitere wüste Kapriolen. Dem Fan Andreas Wagner lag die Welt aus Freibeutern und Äffchen, Blitz und Donner, Exotik und Abenteuer so sehr am Herzen, dass er eine Online-Petition für den Wiederaufbau startete. Sie wurde von 9.767 Menschen unterschrieben. Auch in der Schweiz haben sich Fans zusammengeschlossen und Unterschriften gesammelt.

Ein Kind spendete 50 Euro

Zudem gab es tausende Zuschriften an den Europa-Park, in denen ebenfalls die Anteilnahme nach dem Brand und der Wunsch nach einer Neuauflage der Piraten-Attraktion zum Ausdruck kamen. „Ein Kind hat dafür sogar 50 Euro gespendet“, erinnert sich Europa-Park-Chef Roland Mack. „Wir wussten ja, dass der Europa-Park sehr beliebt ist, dass die Reaktionen so weit gingen, hat uns aber schon überrascht. Nach dem Brand sagten uns viele Leute, Batavia war ein Muss und bildete oft den Abschluss eines Park-Besuchs.“ Und so fiel rasch die Entscheidung für den Wiederaufbau. „Die positive Resonanz hat uns enorm darin bestärkt“, betont Roland Mack. Nun sind die Piraten wieder da. „Die Szene wird jedoch aus naheliegenden Gründen nicht mehr brennen“, stellt Mack klar. „Die Piraten werden die Stadt nicht mehr erobern.“Über zwei Jahre ist an der ursprünglichen Stelle im Niederländischen Themenbereich eine neue 3.800 Quadratmeter große Halle hochgezogen worden – samt modernster Haustechnik wie Lüftungs- und Sprinkleranlage, Wasseraufbereitung sowie Brandschutz auf dem heutigen Stand. Dazu tragen große Entrauchungsanlagen, eine Vielzahl von Detektoren und eine dauerhafte visuelle Überwachung bei. „Ein Nachbau eins zu eins wäre allein schon aufgrund des jetzigen Baurechts nicht gegangen“, erklärt Bauleiter David Studer. „Zudem setzen wir den technischen Fortschritt der vergangen Jahre um.“ Die neugestaltete Themenfahrt ist aber weiterhin eine Bootsfahrt und im Layout sehr ähnlich zur Urversion. Die Fahrgäste tauchen wieder in die Zeit der niederländischen Kolonialisierung des heutigen Indonesiens im 17. und 18. Jahrhundert ein.

Batavia wird zur Geschichte

Anfang 2020 steht Ulla Möll inmitten der Baustelle und beobachtet, wie die Arbeiten vorangehen. Es dominieren noch Beton und Stahlprofile. Aber Ulla Möll hat zu diesem Zeitpunkt schon ganz klar vor Augen, wie Gebäude, Gewässer, Felsen, Brücken und Tore die Halle in eine Landschaft wie aus einem Piratenfilm verwandeln werden. Sie ist die Show-Producerin von Piraten in Batavia. Bei ihr laufen die vielen Arbeitsschritte aus Konstruktion, Design und Thematisierung zusammen. Möll zeigt auf ein Gewirr aus Wänden, das die Halle durchzieht. „Das sind Szenentrennwände“, erklärt sie. „Damit wird die Akustik deutlich besser sein als bei der vorherigen Fahrt durch eine offene Halle.“ Und die Trennwände machen es außerdem möglich, dass Batavia nun als Geschichte erzählt wird – Szene für Szene.

Dabei steht Bartholomeus van Robbemond im Mittelpunkt. Der Freibeuter mit Wissenschaftsdrang ist der Gründungsvater des fiktiven, vermutlich 1677 aus der Taufe gehobenen „Adventure Club of Europe“ (ACE), dessen Geschichte seit der Eröffnung des Flug-Theaters „Voletarium“ attraktionsübergreifend im Europa-Park erzählt wird. Van Robbemond nimmt die Fahrgäste in Empfang und erklärt ihnen, worum es geht: Der Abenteurer ist auf der Suche nach dem Dolch von Batavia – dem Feuertiger. Der Legende nach soll der Dolch seinen Besitzer unverwundbar machen. Die Besucher kommen mit auf die Reise, die in den Niederlanden startet. Ein aufziehender Sturm verrät schon, dass es ungemütlich werden kann. Und gleich am Anfang taucht ein dunkler Schatten auf: Diablo Cortez, der böse Gegenspieler van Robbemonds.

Jagd nach dem Feuertiger

In den folgenden Szenen jagen sich beide die Karte zum Dolch von Batavia immer wieder gegenseitig ab. Ein Blitz, ein Donnergrollen, kurz geht es für die Besucher in ihren Booten wie auf einer Wasserrutsche abwärts – und schon sind sie in der indonesischen Dschungelwelt, die in ein grünes Licht getaucht ist. Schafft es van Robbemond überhaupt nach Batavia? Vor der Stadt liefern sich gerade Piraten ein Gefecht und der Held steht gefesselt auf einer Planke, die vom gewaltigen Schiff seines Widersachers ins Meer ragt. Gleich stößt ihn der triumphierende Cortez ins tosende Wasser. War es das? Oder wird es für den Abenteurer vielleicht Dank der Hilfe seines treuen Weggefährten Jopi, eines verspielten Otters, doch noch ein Happy End geben? Die Gäste können am Ende der Fahrt das aufregende Hin und Her im ebenfalls wiederaufgebauten asiatischen Restaurant „Bamboe Baai“ und beim Außenverkaufs-Imbiss „Little Bamboe Baai“ Revue passieren lassen.

Viele der Gespräche werden sich dabei um die High-Tech-Figuren drehen, mit denen das neue Batavia in Szene gesetzt wird. Darunter sind auch einige, die den Brand überstanden haben, da sie im damaligen Eingangsbereich aufgestellt oder gerade in der Werkstatt waren. „Sie sind liebevoll restauriert worden“, erklärt Ulla Möll. Dazu gesellen sich aber auch Hightech-Animatronis auf dem allerneuesten Stand der Technik. Sie reichen von Piraten über Krokodile bis hin zu Affen. Generell sind ihre Bewegungen viel runder und damit realistischer. „Manche bewegen nur den Kopf, aber bei etlichen sind die Bewegungen komplexer“, sagt die Showproducerin. Der Bartholomeus van Robbemond vom Eingangsbereich ist der beweglichste von allen – er kann unter anderem mit den Augen zwinkern und den Kopf sowie die Arme bewegen. „Alles in allem hat er 27 Bewegungen drauf, auch sehr komplexe“, erläutert Möll weiter. Die motorischen Fähigkeiten und das Aussehen verleihen den neuen Figuren ein wirklichkeitsnahes Flair.

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Weltumspannendes Projekt

Dafür arbeitet der Europa-Park mit führenden Herstellern von Animatronics zusammen: „Hofmann Figuren“ aus dem bayerischen Bad Rodach und den beiden US-amerikanischen Firmen „Life Formations“ aus Ohio sowie „Garner Holt“ aus Kalifornien (siehe Artikel „Entworfen – um lebendig auszusehen“ auf Seite 28). „Batavia 2.0“ ist ein weltumspannendes Projekt, das zeigt sich nicht nur bei den technisch gesteuerten Figuren. Die Kulisse der Stadt Batavia wurde in den Niederlanden von der Firma „Jora Vision“ gebaut. Für die Gestaltung der Szenerien aus einem Gipsmaterial sorgte die Spezialfirma „Universal Rocks“ aus Portugal. Für den Eingangsbereich und das an eine Taverne erinnernde Preview-Center war dagegen der Betrieb „Marko Putz-Stuck-Trockenbau“ aus Ettenheim verantwortlich. Mehrere hundert Menschen werden am Ende daran mitgewirkt haben, dass die Herzensbahn so vieler Parkbesucher wiedererstehen konnte. Die hauseigene Kreativschmiede „Mack Solutions“ hat das Design in aufwendiger Tüftelarbeit entworfen. „Beispielsweise haben wir für jede Figur in mehrseitigen Booklets festgelegt, wo sie zu finden ist, wie sie aussieht und was sie macht“, beschreibt Ulla Möll. Zu den Höhepunkten der Kulissen zählen riesige Boote, die mittels massiver Stahlkonstruktionen vorgeformt worden sind: eine chinesische Dschunke, ein Piratenschiff und ein Wrack, durch das die Gäste in ihren Booten hindurchgleiten. Auch diese Boote, in denen jeweils 16 Besucher Platz finden, sind liebevoll dekoriert und so in die Geschichte eingebunden.

„Der Affe muss rein!“

Neben dem Aufwand ist der Wiederaufbau aber für den Europa-Park ebenso mit äußerst viel Herzblut und Leidenschaft verbunden. „Der Affe muss rein!“ Nicht wenige Male achtete Park-Chef Roland Mack mit solchen Hinweisen unter anderem an Ulla Möll und andere am Neubau mitwirkende Mitarbeiter darauf, dass die Urversion von „Piraten in Batavia“ möglichst originalgetreu ihren Weg in die Neuzeit findet. „Wir haben sowieso einen engen Kontakt zu den Fans“, sagt Möll. „Aber die Familie war ganz nah dran.“Gerade für Roland Mack ist Batavia ein besonderes Herzensprojekt. Die Bahn ist ein spezieller Teil seiner Lebensgeschichte. „Das war damals eine unserer ersten großen Indoor-Attraktionen und alles war neu“, betont er. Der Filmarchitekt und Bühnenbildner Ulrich Damrau, der als Vater des europäischen Themenkonzepts im Europa-Park gilt, hatte Batavia wie eine Filmkulisse inszeniert, durch die die Gäste mit einer vom Mack-eigenen Produktionsbetrieb in Waldkirch entwickelten Wasserbahn fahren konnten. „So eine Themenfahrt hatte noch keiner, das war schon regelrechtes Storytelling“, sagt Roland Mack. „Batavia war richtungsweisend für die Freizeitparkindustrie.

Hinter den Kulissen war der Teufel los

Schon damals war der Aufwand gewaltig. „Wir haben die Figuren entwickelt und ein eigenes Soundsystem wurde in einem Studio eingespielt“, beschreibt Mack. Auch ein aufwendiges Beleuchtungskonzept wurde erarbeitet. Direkt aus Indonesien kamen Holzelemente, Dekorationsteile, Bilder, Ornamente, Bambus und viele Originalmaterialien nach Rust. Selbst Kunstwerke wurden besorgt und eingebaut. Die ganze Familie war involviert. „Es verging kein Tag, auch kein Samstag und kein Sonntag, an dem wir nicht auf der Baustelle waren und neue Ideen entwickelten. Batavia sollte immer noch besser und noch schöner werden“, so Mack weiter. Mehr als ein Jahr dauerten die Arbeiten an Batavia. Die Bahn erlangte dann absoluten Fanstatus – auch weil sie handwerklich besonders gut ausgearbeitet war. „Wir hatten unglaublich talentierte Handwerker“, schwärmt Roland Mack und nennt als Beispiel Stephan Hercher, heute Leiter der Abteilung Dekoration und Bühnenbild. „Er hat aus den von Damrau skizzierten Szenen Modelle gebaut, die dann später umgesetzt wurden. Heute ist Stephan Hercher erneut bei Batavia aktiv und ist sogar im Auftrag des Europa-Park nach Bali geflogen, um dort Original-Dekorationsteile zu kaufen.“

Wolfgang Schäuble eröffnete 1987 Batavia.

Am Tag der Eröffnung von „Piraten von Batavia“ 1987 stand der damalige Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble pünktlich um 11 Uhr zur feierlichen Zeremonie des Banddurchschneidens bereit. Michael und Thomas Mack – damals acht und sechs Jahre alt – nahmen als Piraten verkleidet an der Eröffnung teil. Was keiner der Gäste ahnte: Hinter den Kulissen war regelrecht der Teufel los. Wenige Stunden zuvor war die zentrale Antriebskette der Bahn gerissen. „Ein Schock für alle“, schaudert es Roland Mack noch immer. „Fieberhaft versuchten die Techniker eine neue Kette einzusetzen – es gelang buchstäblich in letzter Minute.“ Wolfgang Schäuble gab die Piraten-Bahn schließlich symbolisch frei – danach sind bis zum Brand 2018 mehr als 30 Millionen Menschen mit ihr gefahren.

Die Urversion bestand auch deshalb vornehmlich aus Holz, da die Verwendung von Metallkonstruktionen aufgrund der Nähe des Parks zu einer Abhöranlage des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) von den Behörden beschnitten worden war. „Zwar mussten hohe Sicherheitsvorschriften erfüllt und auch genaue Bergungskonzepte für mögliche Unfallsituationen erfüllt werden“, erklärt Mack. „Aber der Einbau von zu viel Metall wurde uns verboten, da dies die Messdaten des benachbarten Ionosphäreninstituts beeinträchtigt hätte.“ Der Europa-Park entschied sich daher für die großflächige Verwendung von Holzpaneelen – und genau diese erwiesen sich dann 30 Jahre später mit als ein Hauptgrund dafür, dass sich bei dem Großbrand das Feuer in der Batavia-Halle schnell ausbreiten konnte.

Besonders beliebte Szenen feiern ihr Comeback

Die neue Batavia-Bahn versucht so weit wie möglich, Moderne und Tradition unter einen Hut zu bringen. Das zeigt sich insbesondere daran, dass sie nicht nur als Jagd nach dem unverwundbar machenden Feuertiger daherkommt – sondern auch in der ganzen früheren Pracht von überbordenden Nebenszenen. Hier streiten sich zwei um einen Fisch, dort wird jemand beklaut und daneben klettert der Gorilla unentwegt einen Baum rauf und runter. Blödsinn überall – in dem Bilderrausch, der auch noch eingerahmt ist von sich drehenden Wasserrädern und wackelnden Hühnerkäfigen, weiß das Auge kaum, wo es hinschauen soll. Eben so, wie es bei Batavia schon vor dem Brand war.

Auch absolute Klassiker geben ihr Comeback, so der Pirat, der einer Oma ein Geschenk aus einem Boot angelt, oder der betrunkene Pirat, aus dessen Flasche Rum ausläuft – auf die Fahrgäste! „Viele besonders beliebte Szenen von früher sind wiederzufinden, nur manchmal sind sie etwas abgewandelt“, sagt die Show-Producerin Möll. „Und so wie früher wird man mindestens zehn Mal durchgefahren sein müssen, um alles gesehen zu haben.“

Viele der Figuren im neuen Batavia stammen von „Garner Holt“ – dem weltweit führenden Hersteller von Animatronics

Der US-Amerikaner Garner L. Holt war gerade mal 16 Jahre alt, als er 1977 sein Unternehmen gründete – mit der elterlichen Garage als Produktionsstätte und seiner Mutter als Sekretärin. Heute ist „Garner Holt Productions“ aus dem kalifornischen Redlands der weltweit führende Hersteller von Animatronics, also mechanisch, pneumatisch und elektronisch gesteuerten Figuren.Insgesamt rund 3.000 animierte Figuren für Disney, Universal und andere Themenpark-Betreiber auf der ganzen Welt hat Holts Kreativschmiede bereits erschaffen – so viele wie niemand sonst. An der Entstehung einer Figur arbeiten unter anderem Designer, Ingenieure und Bildhauer mit. „Für die Haut wird ein spezielles Silikon verwendet, das die Eigenschaften von echter Haut nachahmt“, erklärt Holt. „Unter ihren realistischen Oberflächen sind Animatronics komplexe Maschinen – entworfen, um lebendig auszusehen.“

Von Cristoph Ertz