Die Grenzen austesten

Interview mit Miriam Höller

„Wir müssen aus dem Alltag raus, um uns zu verändern und uns zu entwickeln“

Wir treffen Miriam Höller an einem Sonntagnachmittag in der Lobby des Europa-Park- Hotels „Colosseo“. Die hochgewachsene blonde Frau strahlt eine große Lebensfreude und Herzlichkeit aus und zieht Gesprächspartner in ihren Bann. Mehrere Hotelgäste sprechen sie an, wollen Selfies, Autogramme und wünschen ihr viel Glück. Keine Spur davon, dass Miriam gut zwei Jahre davor schwere Schicksalsschläge erlitten hat. Die erfolgreiche Stuntfrau brach sich bei einem Sprung beide Füße und kann seither ihrem Beruf nicht mehr nachgehen. Wenig später verunglückte ihr Lebenspartner Hannes Arch mit dem Hubschrauber tödlich. Für Miriam Höller (Jahrgang 1987), die bereits 2010 durch „Germanys next Topmodel“ bundesweit bekannt geworden ist, brach eine Welt zusammen. Wie hat sie sich aus diesem Tief wieder hochgearbeitet und was macht sie im Europa-Park? Sie hat ihr Lächeln wiedergefunden.

Bei „Horror Nights – Traumatica“, dem mehrfach international ausgezeichneten Horror-Event im Europa-Park spielte Miriam mehrere Wochen lang die Hauptrolle: Eine Göttin mit der Macht über das Gleichgewicht der Herrschaft in Traumatica: Myra Moon Mistress. Bewaffnet mit ihrem feurigen Schwert kann sie die Existenz jedes Wesens in Traumatica auslöschen. Und sie ist es, die die seltenste Substanz im Universum Namens „Moonshine“ besitzt – das „Feuer des Lebens“. Nur die starke Herrin weiß, wie man es aus dem Blut der Shadows herstellt. Jedes Wesen, das einmal einen Tropfen Moonshine probiert hat, wird das Gefühl der un- überwindlichen Kraft und Lebendigkeit nie vergessen. Nur wenige gewinnen die Gunst der Herrin und werden Teil ihres Gefolges. Mit dieser Rolle zeigt die ehemalige Stuntfrau eine ganz neue Seite von sich. Miriam Höller: „Die Rolle der Myra war eine große Herausforderung. Sie steht im totalen Kontrast zu dem, wie ich wirklich bin. Myra ist unberechenbar und böse, sie ist heroisch. Das musste ich alles antrainieren, beispielsweise das Nette, Höfliche und Umgängliche für diese Rolle abzulegen. In der Schauspielrolle ging ich richtig auf, ich stand nach meinem Unfall endlich wieder auf der Bühne.“

 Myra Moon Mistress Miriam Höller bei den „Horror Nights – Traumatica“.

Und wie war es im Europa-Park?
Miriam Höller: Ich bin unglaublich fasziniert von diesem Zusammenhalt hier im Europa-Park. Wenn der Europa-Park was macht, dann richtig. Mit so viel Liebe zum Detail und Herzblut wurde Myra entwickelt und in diesem Jahr als neue Hauptfigur der „Horror Nights – Traumatica“ präsentiert. Ich bin beeindruckt, mit welcher Begeisterung Michael Mack seine Visionen verwirklicht, denn er hatte die Idee des Charakters Myra Moon. Wie in einer Familie bin ich herzlich aufgenommen worden und durfte auch noch die Hauptrolle spielen. Hier hat man nur glückliche und dynamische Menschen um sich herum. Ich fahre auf den Parkplatz, gehe in den Park und tauche in eine Traumwelt ein. Ich entscheide, ob ich in der Mittagspause in Italien oder Spanien essen möchte, Achterbahn fahre oder im Schlossgarten relaxe. Meine Tage waren bunt und fröhlich, daher war es ein Geschenk, hier arbeiten zu dürfen. Was gibt es schöneres? Und dann noch die Hauptrolle zu spielen ...

... wollen Sie künftig noch mehr Schauspielrollen?
Höller: Nein, das ist nicht mein Ziel. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen und Menschen mit dem zu begeistern, was ich kann. Aufgrund meiner Erlebnisse in der Vergangenheit habe ich mich allerdings sehr verändert. Ich muss nicht mehr immer im Mittelpunkt stehen. Viele Menschen kommen zu mir und bitten um Rat, wie man sich aus schwierigen Situation im Leben heraus kämpft oder wie man mit ungewollten Veränderungen umgeht. Es ist für mich Zeit, mein Ego zurück zu stellen und andere mit unter meine Flügel zu nehmen.

Sie haben jahrelang als Stuntfrau gearbeitet, was hat Sie daran gereizt?
Höller: Der Reiz liegt darin, gefährliche Situationen zu kontrollieren und ästhetisch darzustellen. Meine Feuerflüge sind das beste Beispiel dafür. Als Kind wurde ich immer vor dem Feuer gewarnt, ich war aber immer schon actionverliebt und wollte meine Grenzen austesten. Die Feuerflügel sind für mich der Beweis, dass es wichtig ist, seine Grenzen zu überschreiten, um überhaupt zu erkennen, wo diese liegen. Wir meinen, in der Routine Sicherheit zu finden, doch das Leben beginnt erst dort, wo man Freiraum schafft. Wenn man seine Komfortzone verlässt, wird es ungemütlich, aber es zwingt zu Veränderungen, Konzentration und Fokus.

Aber Sie fordern mit solchen Risiken auch das Schicksal heraus ...
Höller: Ja das stimmt, es ist eine Art zu leben, die viele nicht nachvollziehen können. Es ist eine extreme und sehr intensive Lebensweise. Ich liebe diese Grenzerfahrungen. Das löst bei mir ein absolutes Hochgefühl aus und macht mich stolz. Aber solch ein Stolz kann auch sehr gefährlich werden. Je mehr man solche extremen Situationen meistert, desto größer ist die Gefahr, dass man am Ende glaubt, wirklich diese Heldin zu sein, die so gut wie unsterblich ist. Solch eine Heldin wollte ich als Kind immer sein.

Wie gehen Sie selbst damit um und wie minimieren Sie die Risiken?
Höller: Die Kunst liegt darin, die Situation exakt zu bewerten und das Risiko genau zu kontrollieren. Man muss sich in dem Moment wirklich voll auf die Aufgabe konzentrieren und darf nirgends anders mit den Gedanken sein. Das ist sicherlich eine große Stärke von mir. Das habe ich mir über Jahre erarbeitet.

Was können wir von Ihnen für den Alltag lernen?
Höller: Einfach mal die Komfortzone zu verlassen. Das heißt, wir haben alle eine Routine, wir haben einen Alltag, der sich komplett eingespielt hat. Wir wissen, was wir gerne essen, wir wissen, wie wir am besten schlafen, wir wissen, was wir schätzen, wir glauben, alles zu wissen. Aber wissen wir das wirklich? Wir müssen aus dem Alltag raus, um uns zu verändern und uns zu entwickeln. Wir wiegen uns täglich in Sicherheit, was ja auch okay ist, aber letztlich besteht das Leben aus Veränderung, nur Veränderung bringt uns weiter.

Nun gibt es ja auch Tiefschläge in Ihrem Leben. Was haben Sie daraus gelernt. Wie kann man aus einer Krise neue Energie schöpfen?
Höller: 2016 habe ich einen absoluten Stillstand erfahren. 29 Jahre hatte ich ein Leben wie aus dem Märchen, es verwandelte sich innerhalb von sechs Wochen in ein Hollywood-Drama. Ich habe gemerkt, dass ich eben doch nicht diese unsterbliche Actionheldin bin, die ich gerne sein wollte. Bei einem Stunt brach ich mir beide Füße und verlor meine Gesundheit, die Grundlage für meinen Beruf. Kurz darauf verunglückte meine große Liebe bei einem Helikopter-Absturz. Meine berufliche Zukunft und meine privaten Träume waren einfach weg. Ich brauchte gute Argumente, um mich für das Kämpfen zu entscheiden, denn schließlich hatte ich das Vertrauen ins Leben verloren. Schon am nächsten Tag machte ich mit Gipsfüßen meine ersten Gehversuche. Heute weiß ich, wie anstrengend und unfair das Leben sein kann, ich weiss aber auch, was Rückschläge erwirken können. Ich habe viele Dinge geändert, bin heute lange nicht mehr so risikofreudig, weiß mein Leben und meine Mitmenschen noch wesentlich mehr zu schätzen. Ich muss heute nicht mehr überall runterspringen oder mich von einem Auto anfahren lassen oder aus dem Flugzeug springen ... heute stehe ich auf der Bühne und erzähle meine Geschichte. Wie ich mich nach meinen Rückschlägen wieder hochgekämpft habe. Ich versuche, damit auch anderen Menschen halt zu geben und vielleicht auch ein bisschen Vorbild zu sein.

YouTube

Sie halten Motivationsvorträge. Was sagen Sie den Menschen?
Höller: Wenn es um das Thema Verlust geht, glaube ich fest daran, dass die Menschen, die gegangen sind, in gewisser Weise noch bei uns sind. Meine große Motivation war, meine Lebensfreude wiederzufinden. Das war etwas, weshalb sich mein Lebenspartner in mich verliebt hatte. Ich habe das Leben geliebt, habe alles aufgesaugt. Wie macht man weiter, nachdem man rechts und links eine vom Leben gewatscht bekommen hat, habe ich mich oft gefragt. Meine Antwort: Ich nutze meine Zeit viel bewusster und intensiver. Ich versuche keine Zeit mehr zu verschwenden, denn die Zeit ist das Wertvollste was wir haben. Man braucht viel Durchhaltever- mögen, Mut und sehr viel Power. Mit eisernem Willen lässt sich viel erreichen. Die Stärke sitzt im Kopf, von dort wird alles gesteuert.

Wie sieht Ihr Leben heute aus?
Höller: Mein Stuntberuf ist ja aufgrund der bleibenden Schäden an den Beinen kaum mehr zu machen. Mein hauptsächlicher Beruf ist Moderatorin und auch Expertin für die Themen Action, Abenteuer, Auto. Inzwischen habe ich sehr gute Engagements als Keynote-Sprecherin mit Motivationsvorträgen.

Was gibt Ihnen Kraft, wie tanken Sie auf?
Höller: Ich hole mir viel Kraft aus der Natur, aus der Begegnung mit anderen Menschen und aus dem Sport. Ich versuche, sehr viel rauszugehen und mich mit liebevollen Menschen zu umgeben. Wir brauchen keine Energiesauger, die alles negativ reden und alles schlecht finden. Ich brauche positive Menschen. Ich versuche, viel zu lesen und mich weiterzubilden und zu lernen. Nur wer in Bewegung ist, macht Fortschritte.