Ein lebendiges Bilderbuch im Schwarzwald

Das Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof in Gutach ist eine Reise in die Vergangenheit

Unter freiem Himmel präsentiert das älteste Freilichtmuseum in Baden-Württemberg rund 30 historische Schwarzwaldhäuser, blühende Gärten, Tiere und historisches Handwerk. Auf dem Streifzug durch die verschiedenen Jahrhunderte erhalten die Besucher spannende und ungewöhnliche Einblicke in das bäuerliche Leben des gesamten Schwarzwaldes – Anfassen und Mitmachen ausdrücklich erlaubt. Das „Effringer Schlössle“ stammt aus dem Jahr 1406 und ist das neueste und zugleich älteste Exponat. „Das Holz im Effringer Schlössle wurde lange vor der Entdeckung Amerikas geschlagen und verbaut“, erzählt Margit Langer, die Geschäftsführerin des Freilichtmuseums.

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Das 600 Jahre alte Landschloss aus Wildberg wurde kürzlich in Gutach eröffnet. Es war bis 1972 bewohnt und wurde nach dem Abbau an seinem Ursprungsort eins zu eins im Open-Air-Museum wieder aufgebaut. Wie auch – mit Ausnahme des großen Vogtsbauernhofes aus dem Jahr 1612 – alle anderen Schwarzwaldhäuser, die sich heimelig an die saftigen Wiesen der Ortenau anschmiegen. Idyllisch, gemütlich, pittoresk wie auf einer Postkarte vergangener Zeiten. „Dabei war es früher gar nicht so gemütlich“, erzählt Margit Langer. „In den Zeiten, als die Höfe noch bewirtschaftet wurden, gab es keine Heizung, nur Kienspan- oder Kerzenlicht, kein fließendes Wasser – nur Brunnen. Und schon die kleinen Kinder mussten in Haus und Stall mit anpacken“, betont sie. Und Toiletten? „Nein, nur Plumpsklos.“ So mancher Gast sucht beim Begehen der Schlaf- und Wohnräume und der Ställe den Lichtschalter. „Licht gibt es nur so viel, wie durch die Fenster hereinfällt“, erklärt Langer, „wir wollen das ganzheitliche Bild einer vergangenen Zeit repräsentieren, damit die Besucher dem Leben von damals hautnah nachspüren können“, sagt sie. Ein allzu verklärtes Bild vergangener Zeiten abzugeben, ist nicht das Ziel des Erlebnismuseums, das auch einen wichtigen Bildungsauftrag hat. Neben der Vermittlung der Kulturgeschichte ist die wichtigste Aufgabe der Einrichtung, die Exponate, die in der Regel an ihren ursprünglichen Standorten verfallen würden, für die Nachwelt zu bewahren.

Kulturgeschichte zum Anfassen
Der Geruch von Schafen und frischem Gras, die plätschernden Brunnen, das Knarzen des Holzes und das Klopfen der Plotzsäge inmitten der sanften Naturlandschaft geben ein derart lebendiges Bild ab, dass man meint, die Bauernfamilien haben nur für einen kurzen Augenblick ihre Höfe verlassen, um gleich wieder zurückzukehren. In den eingerichteten Schlafkammern sind die Betten mit weißrotkarierten Stoffen überzogen (geschlafen wurde auf Stroh), es geht vorbei an Küchen, durch Wohnstuben hindurch, in Ställe, auf Heuböden und in Handwerksräume. „Unsere Häuser sind begehbare Exponate, unsere Stärke ist das Original“, sagt die Museumsleiterin. „Die Gäste sollen riechen, wie es in der Rauchküche und im Stall riecht, und über das alte knarzende Holz laufen, dabei das Blöken der Schafe und Ziegen hören und sich mal auf ein echtes Strohbett legen.“

  

Ohne Kuh keine Milch, ohne Schwein keinen Speck, ohne Huhn keine Eier, ohne Gans keine Federn, ohne Pferd oder Ochsen bleiben Wagen, Pflüge und Kutschen stehen. Alles Tatsachen des täglichen Lebens – teilweise bis heute. Der Unterschied – und das ist auch die Botschaft des Museums: Alles musste selbst erwirtschaftet werden. Supermärkte, Autos, Telefon, Waschmaschine und Licht muss man sich für ein paar Stunden einmal wegdenken. Die Kinder finden das Leben von früher spannend, lernen aber auch, wie hart es war, verbunden mit vielen Entbehrungen. Und sie lernen viel darüber, wie sich das Leben auf dem Land entwickelt hat, wie es war vor der industriellen und lange vor der digitalen Revolution.

Bauernhof der Sinne
Und warum kein Kind hier nach dem Smartphone fragt oder sich langweilt in der bäuerlichen Heimatfilmkulisse? Weil es total viel Spaß macht, Butter selbst zu schlagen und Brote selbst zu backen (und natürlich zu verspeisen), einen eigenen Besen zu binden oder eine selbstgebaute und -bemalte Schilderuhr mit nach Hause zu nehmen. Dafür ist der Schwarzwald schließlich berühmt. Die Uhren stammen aus den abgeschiedenen Bergwäldern mit den langen, eisig kalten Wintern. Um ein einziges Glas Most zu bekommen, müssen ganz schön viele Äpfel ins große Gärfass. Zur Zeit der Apfelernte können die Besucher unter Anleitung Apfelsaft selbst herstellen. Dieser kann dann ganz frisch gezapft getrunken werden. In der urigen Museumswerkstatt geht es um die Arbeit mit Holz.
Es wird gesägt, gehämmert, gefeilt und graviert, um Kuckuckspfeifen, Laternen, Spazierstöcke, Vesperbrettchen oder Steckenpferde in Eigenarbeit zu kreieren. Genug gerührt, gebacken, gehämmert und gefeilt? Die meisten der alten Kinderspiele, bei denen die Kids entspannen können, sieht man heute nur noch selten: Schubkarrenrennen, Sackhüpfen, Stelzenlaufen und Seilspringen.

„So ein Museumstag in der Natur und mit den tollen Mitmachangeboten ist einfach super“, schwärmt eine Mutter mit ihren beiden Kindern. Sie haben gerade zugeschaut, wie ein echter Schwarzwälder Bollenhut gemacht wird und tragen stolz ein selbstgebautes kleines Wasserrad vor sich her.

Von wegen „verstaubt“
Mit jährlich rund 230.000 Besuchern steht das Gutacher Freilichtmuseum auf Platz 2 der Liste der beliebtesten Ausflugsziele im Schwarzwald. Gleich nach dem Europa-Park. „Was uns ausmacht, ist der Mix aus Freizeitunternehmen und Bildungseinrichtung“, sagt Margit Langer, die das Museum gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Leiter Thomas Hafen führt. Von Hermann Schilli 1964 gegründet, war das Museum in der Anfangszeit ein reines Architekturmuseum. In den letzten 15 Jahren hat es durch neue Marketingstrategien eine enorme Verlebendigung erfahren. „Wir profitieren ganz klar von den Mehrtagestouristen“, so Langer. Auch Roland Mack war nach seinem letzten Besuch im Freilichtmuseum begeistert. „Das ist ein fantastisches Ausflugsziel in unserer Region“, schwärmt der Europa-Park-Chef. Wie der Europa-Park erfüllt auch das Gutacher Museum mittlerweile alle Ansprüche an ein modernes Freizeitunternehmen.

Frank Scherer, Landrat des Ortenaukreises.

„Es ist über die Landesgrenzen hinaus eines der bestbesuchten Museen seiner Art“, auch Landrat Frank Scherer brennt für das Museumsprojekt. „Ein Ort, der mit seinem facettenreichen Veranstaltungsprogram und tollen Mitmachangeboten seinesgleichen sucht und an den es mich und meine Familie auch privat immer wieder hinzieht.“

Wo will das Museum in Zukunft noch hin? „Zwei Hektar der Fläche sind noch frei. Hier wollen wir in den nächsten Jahren zwei weitere Höfe aus dem Nordschwarzwald ergänzen, die die 1950er und 1960er Jahre thematisieren“, so Langer. „Des Weiteren planen wir, den Viehbestand zu erhöhen. Das Landesverkehrsministerium unterstützt uns außerdem in der Bemühung, den Bahnhalt, der 2015 direkt vor dem Haus gebaut wurde, auch als Haltepunkt für die Schwarzwaldbahn einzurichten.“

Öffnungszeiten:
Ende März bis 1. November täglich 9 bis 18 Uhr
(im August bis 19 Uhr geöffnet)
Weihnachtsmarkt am 3. Adventwochenende

vogtsbauernhof.de

Von Ariane Lindemann