Christian Streich ist Kult und Kultur

Porträt eines ungewöhnlichen Fußballtrainers

„Am beschten Du machsch de Fernseher aus, schausch de Tabelle nit an, bringt ja alles nix. Spielsch! Übsch!“
(Christian Streich)

Tut uns leid, aber wir können ihnen auf absehbare Zeit keinen Termin geben, heißt es vom SC Freiburg. Die Liste mit Presseanfragen sei sehr lang. „Der Trainer braucht seine Kraft für die Mannschaft.“ Christian Streich wählt Termine also mit Bedacht, aber als er im Europa-Park- Hotel „Colosseo“ die „Goldene Narrenschelle 2019“ der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) überreicht bekommt, ist er natürlich vor Ort. Schon der Einzug ins Foyer begeistert ihn. Dort empfangen ihn verkleidete Fastnachtsnarren, über drei Balkone verteilt und von schmissiger Musik in Tanz und Laune versetzt. „Wie ist das, wenn Du so viele Narren siehst?”, wird er gefragt. „Ich bin ja grad vom Trainingsplatz gloffe, von daher isch es jetzt ...“, die Antwort geht bei der Ehrung in schallendem Gelächter unter. „Aber es war ein wahnsinniges Bild mit den vielen leuten auf den Balkonen und den alten Masken, bunt und schön.“

 Christian Streich unter anderem mit Roland Mack und dem Präsidenten der Vereinigung Schwäbisch- Alemannischer Narrenzünfte, Roland Wehrle (rechts) bei der Verleihung der Narrenschelle.

Die Narrenschelle, eine vergoldete Handglocke, wird jährlich im Europa-Park an einen Prominenten vergeben. Streich ist ihr 14. Träger. Neben dem Fußballtrainer haben unter anderem schon die Spitzenpolitiker Cem Özdemir, Winfried Kretschmann, Beate Merk, Wolfgang Bosbach, Wolfgang Thierse und Günther Oettinger oder auch Schlagersänger Tony Marshall und Fernsehmoderator Frank Elstner, Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell, und Europa-Park- Gründer Roland Mack die „Narrenschelle“ erhalten. Streich bekam sie, weil er „ein alemannisches Sprachgenie und badisches Original“ sei.

„Seine teils trockene, alefänzige Art, Sachverhalte zu erklären, und seine Unbekümmertheit lassen ihn bei aller Ernsthaftigkeit des Bundesliga-Alltags zu einem wahren Spaßmacher und gewitzten Narren werden, der schwätzt, wie ihm de Schnabel gwachse isch“,

heißt es in der Begründung weiter. Dass er dabei auf ganz eigene Weise auch immer wieder ernste Dinge wie Fremdenfeindlichkeit anspricht, zeigte er sogar bei der Narrenschelle: „Ich weiß nicht, wie viele Nationen ich schon trainieren durfte, angefangen von vietnamesischen Bootsflüchtlingen vor vielen Jahren. Wenn sie gut kicken konnten, war es egal, woher sie kamen und wie sie aussahen, dann kam gleich jemand und sagte: Trainer, der ist aber gut – und das ist so ähnlich bei der Fastnacht, ich seh jetzt auch nicht, wer der ganz Große und wer der ganz Kleine sein soll, alle sind verkleidet, der Fußball hat etwas Ursprüngliches und die Fastnacht auch.“

„Es hängt so viel dran“

Seit Ende Dezember 2011 ist Christian Streich Trainer beim SC Freiburg, er ist damit aktuell der dienstälteste Trainer einer Bundesligamannschaft. Zum Vergleich: Der VfB Stuttgart hatte in dieser Zeit 13 Trainer. Es ist aber auch leicht nachzuvollziehen, warum er für seine Arbeit viel Kraft braucht. Vor jeder Saison verliert der SC Freiburg einige seiner besten Spieler an die Konkurrenz und muss sich neu aufstellen. Stets geht es darum, den Abstieg zu vermeiden, auch wenn es Streich gelungen ist, die Badener zweimal in den Europapokal zu führen. Die Verantwortung des Trainers ergibt sich zudem aus der wirtschaftlichen Entwicklung seines Vereins. Der SC Freiburg kommt mittlerweile auf einen Umsatz von mehr als 100 Millionen Euro im jahr, ist der mitgliederstärkste Sportverein Badens und beschäftigt rund 300 Mitarbeiter. Der Europa-Park unterstützt den SC Freiburg als Premiumpartner, mit Park-Chef Roland Mack ist Christian Streich per Du. „Es hängt so viel dran, die Arbeitsplätze, die Menschen. Was passiert mit uns, wenn es schiefgeht? Bin ich dann schuld?“, zögerte Streich zunächst noch, als ihm damals das Angebot des Cheftrainer-Postens angetragen wurde – und übernahm dennoch.

Gemeinhin ist die Verbindung Trainer-Verein immer auf eine überschaubare Zeit angelegt, abhängig vom Erfolg. Der SC Freiburg hielt an dem Fußballlehrer aber auch nach einem zwischenzeitlichen Abstieg fest – man spricht einfach die gleiche Sprache. Streich stammt aus Eimeldingen, etwa 80 Kilometer südlich von Freiburg. Der Sohn eines Metzgers hat Germanistik, Sport und Geschichte für das Lehramt studiert. In seiner eigenen Profikarriere spielte er zwischen 1985 und 1990 für die Stuttgarter Kickers, den SC Freiburg und den FC Homburg. Bereits mit 25 Jahren beendete er aber schon seine Spielerlaufbahn, 1995 begann er als Jugendcoach beim SC Freiburg. An der Seitenlinie ist Streich oft emotional, manchmal aufgebracht, aber nie verkniffen. Sein Markenzeichen ist sein Dialekt. Zu Beginn seiner Amtszeit als Cheftrainer soll er es auf Pressekonferenzen auch mal auf Hochdeutsch probiert haben, aber das ließ er schnell wieder, die Fußballwelt verdankt ihm unverstellte Weisheiten wie: „Am beschten Du machsch de Fernseher aus, schausch de Tabelle nit an, bringt ja alles nix. Spielsch! übsch!“

„Freiburg will de Ball habbe, immer, weil wir kicke wollet, wir mache keine taktischen Dinge“
(Christian Streich)

„Wir müssen nicht gewinnen“

Mit ihrem „Streich der Woche“, einer wöchentlichen Höhepunktesammlung im Internet von seinen Pressekonferenzen, hat die „Badische Zeitung“ Streich längst zu einer bundesweiten Kultfigur werden lassen. Grünen-Politiker und Narrenschellen-Vorgänger Cem Özdemir brachte es bei seiner Laudatio im Europa-Park auf den Punkt: „Sonst hören wir im Fußball Sätze wie: Gerade zu Hause liegt unsere Heimstärke oder da muss dann auch mal einer die Hand ins Heft nehmen. Und dann kommt einer, der sagt: Freiburg will de Ball habbe, immer, weil wir kicke wollet, wir mache keine taktischen Dinge. Oder im Abstiegskampf sagte er: Wir müssen nicht gewinnen, wir müssen irgendwann sterben.“ Christian Streich sei nicht nur Kult – „er ist auch Kultur und leistet sich eine eigene Haltung“. In diesem Sinne werden nicht nur Fans des SC Freiburg hoffen, dass das badische Original noch lange in der Bundesliga bleibt, auch wenn er dafür viel Kraft braucht.