Begegnungen der dritten Art

„Roam & Ride“ im Europa-Park ist weltweit einzigartig/ Neue Technik lässt Branche aufhorchen und überwältigt die Gäste/ Achterbahn „Eurosat Coastiality“ entführt in eine Zwischenwelt/ Übergreifende Zusammenarbeit

Es ist gerade passiert, tatsächlich, vor den eigenen Augen – oder doch nicht? Ein Weltraummonster ist auf den vorderen Teil des Zuges gesprungen. Das Alien hat spinnenartige, aber fette Beine, kombiniert mit einem aufgeblähten Mull-Körper und spitzen Zähnen. Schon aufgrund des Gewichts des Fremdkörpers kann sich eine Kabine nicht halten, sie bricht aus dem Zug heraus und wird samt Monster von den ewigen Weiten des Orbits verschluckt. Doch für einen Gedanken bleibt nur ein Wimpernschlag, denn schon sitzt man in einem Raumschiff und wird selbst mit Warpgeschwindigkeit in den Weltraum katapultiert. Die Bahn macht eine scharfe Kurve und gleich darauf stürzt sie in die Tiefe, dann jagt sie wieder um eine Kurve. Dabei spielt sich vor den Augen des Passagiers stets wildeste Science-Fiction ab: Wüstenplaneten, der unendliche Weltraum, verschiedene Bereiche der Raumstation Alpha, mal grell vor Licht, dann wieder dunkel und eng, mit bizarr anmutenden Kreaturen. All diese Begegnungen der dritten Art im Sekundentakt passieren gerade – oder doch nicht? Wer die Virtual-Reality-Achterbahn „Eurosat Coastiality“ im Europa-Park fährt, landet in einer Art Zwischenwelt: Die Bewegungen sind real, aber was die Passagiere sehen, ist Illusion – eine Illusion, in der sie sich minutenlang befinden.

Acht Minuten Adrenalin pur. Die Passagiere wähnen sich im Cockpit eines Raumfahrzeugs.

Die Bahn birgt zudem eine Weltneuheit, denn das Eintauchen in diese Zwischenwelt beginnt bereits in einem Pre-Show Raum vor der eigentlichen Achterbahnfahrt. Die ab einem Alter von 14 Jahren erlaubte „Eurosat Coastiality“- Bahn in der aufwendig erneuerten Eurosat-Kugel des Europa-Park ist die erste „Roam & Ride“-Attraktion der Welt. Die Innovation verbindet die Pre-Show und die eigentliche Achterbahnfahrt zu einem durchgehenden Virtual-Reality-Erlebnis. Vor dem Einstieg in die Bahn bekommen die bis zu 14 Passagiere pro Fahrt eine VR-Brille aufgesetzt – und sogleich befinden sie sich in der virtuellen Realität. Mit dem aufgesetzten Headset laufen die Besucher nicht nur über den Bahnhof, sondern steigen auch in den Eurosat-Coastiality-Zug ein und genießen schließlich die Achterbahnfahrt, ohne die VR-Brille auch nur einmal abzunehmen. „Die Pre-Show, der Gang entlang des Bahnhofstegs, der Einstieg in den Achterbahnwagen und die komplette Fahrt bilden ein achtminütiges Erlebnis, das in dieser Kombination und Dimension weltweit nur bei uns im Europa-Park zu erleben ist“, betont Michael Mack, geschäftsführender Gesellschafter Europa-Park.

Die Szenen, die die Besucher wahrnehmen, sind eine 3D-Version des Science-Fiction-Bilderfeuerwerks „Valerian – Die Stadt der tausend Planeten“ des französischen Star-Regisseurs Luc Besson. Dank einer innovativen Trackingmethode erkennen sich die Fahrgäste mit der VR-Brille auf dem Kopf gegenseitig im Pre-Show-Bereich als digitalisierte Personen, so genannte Avatare, was ein Zusammenstoßen verhindert. Auch der Europa-Park-Operator, der die Besucher einweist, wird als Figur im virtuellen Raum dargestellt. „Bei Eurosat Coastiality ist Virtual Reality nicht mehr isolierend, sondern zum ersten Mal ein gemeinschaftliches, soziales Erlebnis“, sagt Thomas Muhr, „Director Digital & Research“ beim Europa-Park und bei MackMedia.

        

Fahrtenleser auf dem Kopf
Die Technik dahinter steckt dem Gast unter anderem im wahrsten Sinne auf dem Kopf. Am Headset ist eine Art Propeller angebracht. „Es sieht ein bisschen aus wie bei Karlsson vom Dach“, scherzt Muhr. Der „Propeller“ ist aber ein so genannter „Tracker“, was auf Deutsch so viel wie „Aufspürer“ oder „Fahrtenleser“ bedeutet. Der Pre-Show- und Bahnhofsbereich ist bei „Eurosat Coastiality“ zudem mit insgesamt 15 Kameras ausgestattet, die die Tracker erfassen. Über Server, Access-Points und Router werden die sich in Sekundenbruchteilen verändernden Informationen aus den Bewegungen verarbeitet und in Echtzeit mit 3D-Filmanimationen kombiniert. Dabei kommen besonders leistungsfähige Smartphones zum Einsatz, die in jedem Headset verbaut sind. „Noch vor fünf Jahren, mit dem damaligen Stand der Technik, wäre unsere „Roam & Ride“-Attraktion undenkbar gewesen“, betont Kai Feuchter, der als Digital-Spezialist vom Europa-Park und von MackMedia an verantwortlicher Stelle bei der Pioniertat mitgewirkt hat.

„Roam & Ride“ ist das Ergebnis einer übergreifenden Zusammenarbeit von Visionären, Kreativen und Tüftlern. Das Unternehmen „VR Coaster“ entwickelte in enger Zusammenarbeit mit MackMedia und der französischen Filmproduktionsfirma „EuropaCorp“ von Luc Besson den hochauflösenden Inhalt. Holodeck VR, ein Spin-Off des Fraunhofer-Instituts, ist für die Tracking-Technologie verantwortlich, die es vielen Menschen gleichzeitig ermöglicht, sich in einem virtuellen Raum zu bewegen. Zudem machte es der Achterbahnbauer Mack Rides möglich, dass der Eurosat-Coastiality-Zug in der futuristischen Eurosat-Kugel die gleiche Strecke wie der ebenfalls dort neu untergebrachte „Eurosat – CanCan Coaster“ fahren kann. „Dass ein Zug über eine sich drehende und kippende Weiche in eine Bahnstrecke ein- und ausgeführt wird, gibt es ebenfalls sonst nirgendwo auf der Welt“, erläutert Feuchter.

Besson checkte sogar Nasenlöcher
Rund zwölf Monate dauerten die Vorarbeiten. Starregisseur Luc Besson war bis ins Detail beteiligt. „Jeden Charakter, jede Szene hat er abgesegnet“, beschreibt Muhr. „Bis hin zur Form von Nasenlöchern der Weltraummonster haben er und seine Mitarbeiter auf alles genauestens geachtet.“ Da die Entwicklung parallel zur Erneuerung der Eurosat-Kugel stattfinden musste, wurde der heutige „Eurosat Coastiality“- Bahnhof an anderer Stelle des Europa-Park maßstabsgetreu vorab nachgebaut. Dort  testeten die beteiligten Pioniere über Monate ihre neue Technik – bis kurz vor Eröffnung im September 2018. „Bei manchen Effekten wussten wir vorher gar nicht, ob sie tatsächlich auch auf der Bahn funktionieren“, blicken Feuchter und Muhr zurück. „So gaukeln wir an einer Stelle digital eine Rückwärtsfahrt vor, aber natürlich bewegt sich die Bahn physisch vorwärts.“ 

(Im Bild rechts: Starregisseur Luc Besson (Mitte) ist von der Bahn begeistert. Die Illusion dahinter wird vor allem über den Helm erzeugt.)

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Von Christoph Ertz