"Nichts ist zu schön, nichts ist zu teuer“

Die „schnellsten und exklusivsten Fahrzeuge der Welt" werden weiterhin in der französischen Nachbarregion gebaut

Weitläufige Weinberge, gute Küche und die dichten Wälder der Vogesen: Das Elsass gilt eher als beschaulich. Doch auch ein eigentümliches Röhren aus besonders exquisiten Motoren gehört seit mehr als 100 Jahren zur Region. 1909 gründete der italienische Konstrukteur Ettore Bugatti (1881-1947) im kleinen Städtchen Molsheim, 30 Kilometer südwestlich von Straßburg, seine erste Automobilfabrik. So begann eine elsässisch-italienische Liaison, der die Welt technische Wunderwerke von höchster Ästhetik verdankt. Bis heute sind die von Bugatti gebauten Originalfahrzeuge insbesondere wegen ihres Designs bei Sammlern begehrt.

Die Marke begeistert aber nicht nur Oldtimerfans. Noch immer kommen von Molsheim aus wahre Kultobjekte auf vier Rädern in die Welt – heute jedoch als Ausdruck einer elsässisch-deutschen Liaison. 1998 übernahm der Volkswagenkonzern die Rechte an der Marke Bugatti und lässt seither unter diesem Label Super-Sportwagen bauen. Nicht in einer banalen Fabrik, sondern in einem Atelier werden sie handgefertigt. „Bugatti Chiron“ heißt die aktuelle Serie aus dem 2005 eingeweihten Traumauto-Studio. 20 Mitarbeiter fügen das 1.500 PS-starke Straßenbiest aus mehr als 1.800 Bauteilen zusammen. Kein „Chiron“ ist wie der andere – den Kunden stehen Herstellerangaben zufolge „grenzenlose Individualisierungsmöglichkeiten“ bei Material und Farben zur Auswahl. Etwa sechs Monate vergehen von Produktionsstart bis zur Auslieferung eines der über zwei Millionen Euro teuren Boliden. „Bugatti hat in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, dass wir die schnellsten und exklusivsten Fahrzeuge der Welt bauen“, erklärt Bugatti-Präsident Stephan Winkelmann. „Wir sind sehr stolz auf unsere Geschichte. Doch wir definieren uns nicht nur über Rekorde oder Höchstgeschwindigkeiten.“ Er nennt unter anderem Design und automobile Handwerkskunst als Kriterien, auf die sich die Marke auch in Zukunft konzentrieren werde.

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Rekord für die Ewigkeit
Die heutigen Bugatti-Entwickler folgen damit deutlich den Spuren, die der Gründer der Marke hinterlassen hat. Ettore Bugatti stammte aus einer Künstlerfamilie. Vater Carlo (1856-1940) war Möbel- und Innenraumdesigner, die Tierskulpturen seines Bruders Rembrandt Bugatti (1885–1916) erzielen heute auf Auktionen Millionenpreise. Auch Ettore Bugatti verstand sich als Künstler – nur dass er sein künstlerisches Talent mit maschinengetriebenen Fortbewegungsmitteln zum Ausdruck brachte. „Er glaubte nicht an Berechnungen, Formeln oder Prinzipien“, schrieb der französische Automobilpionier Jean-Albert Grégoire (1899-1992) über ihn. „Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse ergaben sich aus Erfahrungen, die mit den Jahren zunahmen, und einer natürlichen mechanischen Fähigkeit, die durch eine Gabe der Beobachtung unterstützt wurde.“ Beinahe täglich zeichnete der rastlose Unternehmer neue Konstruktionen. Der Visionär schuf längst nicht nur Autos, sondern auch Eisenbahnen, Schiffe, Flugzeuge und chirurgisches Besteck sowie eine Pasta-Maschine. Besonders den Rennsport seiner Zeit revolutionierte der Autodidakt. Allein Bugattis „Typ 35“ aus dem Jahr 1924 fuhr 2.000 Siege ein – ein Rekord für die Ewigkeit.

Im „Musée National de l‘Automobile“ von Mülhausen (französisch Mulhouse) im Süden des Elsass sind einige Bugatti-Rennwagen von anno dazumal hintereinander angereiht. Ganz in Blau, der früheren Rennsportfarbe Frankreichs, scheinen sie noch immer auf den Startschuss für einen Grand Prix zu lauern. Das größte Automobilmuseum der Welt birgt viele Kostbarkeiten aus der Automobilgeschichte. Unter den mehr als 400 Traumautos des Museums finden sich Modelle von Hispano-Suiza, Ferrari, Rolls-Royce, Maserati, Maybach und Mercedes. Vor allem aber bietet es Bugattis eine Garage für die Ewigkeit. Als ein besonderes Fest für die Augen erweisen sich für die Besucher zwei „Bugatti Royale“. Getreu seinem Motto „Nichts ist zu schön, nichts ist zu teuer“ wollte Bugatti damit das ultimative Luxusauto bauen, gedacht als einzig wirklich standesgemäßes Fortbewegungsmittel gekrönter Häupter – wobei er selbst bei der adeligen Kundschaft seinen hohen Prinzipien treu blieb. Der einzige Monarch, der tatsächlich einen der Straßengiganten haben wollte, war der König von Albanien. Doch er wurde abgewiesen – aufgrund „grauenhafter Tischmanieren“.

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Artus-Runde auf vier Rädern
Die „Royales“ erheben sich im Automuseum von Mülhausen auf ihren Podesten wie die Oberhäupter einer König-Artus-Runde von Limousinen. „Sind die groß“, staunt ein Mädchen, als es daran vorbeischlendert. Selbst die Rolls-Royce oder Benz in ihrer Nähe verblassen dagegen wie jeder Kirchenbau gegenüber dem Petersdom in Rom. Sechs Meter misst ein „Royale“. Auf mehr als 200 Stundenkilometer konnte das Fahrzeug beschleunigen, was aber kaum angeraten war. Die Bremsen hätten mehrere Kilometer gebraucht, um das drei Tonnen schwere Geschoss zum Stehen zu bringen. Heute auf mehr als zehn Millionen Euro geschätzt, waren die Fahrzeuge zu ihrer Zeit nie ein geschäftlicher Erfolg. Nur sechs wurden gebaut. Insgesamt verließen zu Lebzeiten Ettore Bugattis mehr als 7.900 Fahrzeuge die Molsheimer Autoschmiede, in der auch das handwerkliche Geschick der elsässischen Monteure zur Legende beitrug. 1939 starb Bugattis Sohn Jean bei einer Testfahrt. Der Zweite Weltkrieg ruinierte die Fabrik in Molsheim und das Unternehmen kam danach nie mehr richtig auf die Beine – bis VW die Marke wiederbelebte.

Für das Elsass trägt die Liaison mit dem italienischen Einwanderer, der sich zeitlebens aber als Franzose fühlte, somit noch heute Früchte. „Bugatti gehört ins Elsass“, betont Stephan Winkelmann.

Das Elsass und die Familie Mack
Eine ähnliche Liaison ergibt sich für das Elsass in heutiger Zeit mit der Familie Mack. Etwa 20 Prozent der Mitarbeiter des Europa-Park stammen aus der französischen Nachbarregion. Zudem sponsort der Park den Fußballverein Racing Straßburg und es wird rund um die Europa-Metropole investiert – so in Plobsheim, wo die Multimedia-Ideenschmiede MackNeXT einen Standort aufbaut.