Achterbahn als Therapie

Pilotstudie des Universitätsklinikums Freiburg: Wer seine Nierensteine loswerden möchte, sollte es auch mal im Europa-Park versuchen

Ob Deutschland, die Schweiz oder Frankreich: In West- und Mitteleuropa sind zwischen fünf und zehn Prozent der Menschen von Nierensteinen betroffen. Schlimmstenfalls müssen die Steine mit Hilfe von Schallwellen zertrümmert oder durch einen endoskopischen Eingriff entfernt werden – sonst drohen Infektionen oder Koliken. Doch bevor ein Arzt ranmuss und je nach Lage sowie Größe bestehen häufig Möglichkeiten zu einer „konservativen Steintherapie“. So gilt das Prinzip „Saufen und Laufen“ – also viel trinken und sich bewegen – als ein herkömmliches Verfahren, um den natürlichen Abgang der in der Niere schlummernden Steine zu fördern.

Außerdem scheint der Europa-Park hervorragend für eine „konservative Steintherapie“ geeignet zu sein – wegen seiner Achterbahnen! Amerikanische Forscher haben bereits belegt, dass Achterbahnfahrten helfen können, Nierensteine loszuwerden. In einer Pilotstudie im Europa-Park geht nun auch das Universitätsklinikum Freiburg diesem Phänomen auf den Grund. „Wir haben jede Woche zwei bis drei neue Patienten, die sich für eine konservative Behandlung eignen“, berichtet August Sigle (Foto), Assistenzarzt bei der Klinik für Urologie des Klinikums. Ein Nierenstein darf demnach nicht größer als fünf Millimeter sein, sonst geht die Tendenz eher zur Operation. „Wir wollen in zwei Jahren insgesamt 35 Probanden zusätzlich zu ihrer normalen medikamentösen Therapie im Europa-Park Achterbahn fahren lassen und die Wirkung studieren.“ 35 weitere Testpersonen durchlaufen die Therapie auf gewohnte Weise, ohne die Achterbahn als Zusatzmittel. Der Europa-Park stellt für alle Teilnehmer und jeweils eine Begleitung insgesamt 140 Freikarten aus. Für die Probanden, die in den Park zum Test kommen, werden zudem die Wartezeiten verkürzt, damit sie möglichst oft und unterschiedliche Achterbahn fahren können. Sie erhalten einen umfangreiche Auswertungsbogen an die Hand. Darin notieren sie unter anderem neben der Häufigkeit der Fahrten auch noch, welche Achterbahn sie gefahren sind.

Behandlung mit Thrillfaktor
Die Idee stammt von den beiden Osteopathen David Wartinger und Marc Mitchell aus den USA , wo wegen eines Nierensteins jedes Jahr 300.000 Patienten als Notfall eingeliefert werden. Sie haben für ihren Achterbahn-Nierenstein-Test den „Ig-Nobelpreis“ für Medizin der Harvard-Universität erhalten. Das „Ig“ steht für „ignoble“, was übersetzt unter anderem so viel wie „unwürdig“ bedeutet. Doch das ist augenzwinkernd gemeint, denn es werden Forschungen ausgezeichnet, die nur auf den ersten Blick absurd erscheinen, sich
dann aber doch als ernstzunehmend erweisen. Mitchell und Wartinger wurden durch Patienten auf den ungewöhnlichen Therapieansatz aufmerksam: „Über mehrere Jahre hinweg berichtete eine bemerkenswerte Anzahl von ihnen, dass sie spontan Nierensteine losgeworden seien, nachdem sie einen Coaster gefahren waren.“

Sie wollten es genauer wissen und konstruierten per 3D-Druck ein Nierenmodell aus Silikon – gefüllt mit Urin und versehen mit nachgebildeten Nierensteinen verschiedener Größen. Mit dem Modell in einem Rucksack machten die Forscher bei Achterbahnfahrten den ultimativen Schütteltest. Und siehe da: In rund 70 Prozent der Fahrten lösten sich tatsächlich die Steine und rutschten in den nachgebildeten Harnleiter. Aus manchen Ausgangspositionen innerhalb der Niere klappte das besser als aus anderen. Vor allem erwies sich der Sitzplatz als ausschlaggebend. Saßen die Ärzte in den hinteren Wagen, führte die Nierenstein-Behandlung mit Thrillfaktor deutlich besser zum Ziel als in vorderen Reihen, wo geringere Kräfte auftreten. Mitchell und Wartinger gehen davon aus, dass es vor allem die schnellen Richtungswechsel und Erschütterungen sind, die helfen, die Nierensteine zu lösen. Die Freiburger Mediziner erweitern nun den Forschungsansatz auf echte Menschen mit wirklichen Nierensteinen. Sie erhoffen vertiefende Rückschlüsse zur „Konservativen Steintherapie“ im Allgemeinen: Wie oft ist sie erfolgreich, welche Zeiträume spielen eine Rolle, wann braucht der Patient doch eine Operation?

Nierensteine

13 „Therapie“-Achterbahnen im Europa-Park
Aber wird die Achterbahn irgendwann vielleicht sogar auf Rezept ausgestellt? „Wenn wir einen signifikanten Effekt durch die Achterbahnfahrten nachweisen können, sind wir davon zwar noch sehr weit entfernt“, betont Sigle. „Aber es wäre dann durchaus eine Idee, der noch mit größeren Studien nachgegangen werden könnte.“ Mit insgesamt 13 Achterbahnen bietet der Europa-Park jedenfalls Optionen in Hülle und Fülle, um den Plagegeistern einen ebenso stürmischen wie natürlichen Abgang zu bereiten. Europa-Park-Inhaber Roland Mack: „Ich bin schon gespannt, was der Versuch der Uni-Klinik Freiburg ergibt. Ich persönlich glaube, dass die Holzachterbahn Wodan am besten dafür geeignet ist.“

Die Studie von David Wartinger und Marc Mitchell ist auf Englisch nachzulesen unter
https://jaoa.org/article.aspx?articleid=2557373

Mehr zur Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Freiburg:
www.uniklinik-freiburg.de/urologie/team