1921 - erste Achterbahn von Mack

Schaustellerin und Kunsthistorikerin Dr. Margit Ramus bringt Licht in eine durcheinander geratene Geschichte

Romantisch und verträumt schmiegt sich das kleine Städtchen an die dicht bewaldeten Breisgauhänge – so beschreibt ein Zeitungsbericht vor beinahe 100 Jahren Waldkirch vor den Toren Freiburgs. Die so beschworene Romantik sollte aber nicht verkennen, dass die Kleinstadt im Tal der Elz schon damals ein Ort bedeutender unternehmerischer Aktivität darstellte. „Zentrum des Orgelbaus“ wird Waldkirch noch heute genannt. Seit dem 19. Jahrhundert liefern Meisterbetriebe Kirchenorgeln, Drehorgeln und früher auch Leierkästen in die ganze Welt. Außerdem hatte sich eine weitere Firma aus Waldkirch bereits zu jener Zeit ein internationales Ansehen erarbeitet: das Stammunternehmen der Familie Mack, das heutige Mack Rides. Als Wagenbauer war es unter der Ägide von Heinrich Mack III. – Großvater der heutigen Europa-Park-Inhaber Roland und Jürgen Mack – 1915 „Hoflieferant“ des Zirkus Krone geworden. Macks Wagenbau stellte weit über die Grenzen Deutschlands hinaus allerlei Wagen für Firmen her: Luxuriöse Wohnwagen ebenso wie einfache Unterkünfte für Arbeiter, Transport- oder Spezialwagen. Doch wie seine heutigen Nachfahren war Heinrich Mack ein Unternehmer, der sich nicht vor neuen Herausforderungen scheute. Schon 1921 baute er eine Achterbahn. Heute gehört Mack Rides zu den weltweit großen Drei im Achterbahnbau, damals läutete der Betrieb der Familie Mack damit ein „goldenes Zeitalter der Roller Coaster“ mit ein. Historiker gehen davon aus, dass während der Zwanziger Jahre allein in den USA mehr als 1.500 Achterbahnen in Betrieb waren – heute sind es weniger als die Hälfte.

Frühes „Storytelling“

Auch wenn es schon im 18. Jahrhundert Vorläufer insbesondere in Russland gab, gelten die USA als das Ursprungsland der Achterbahnen. Am 16. August 1878 soll dort die erste Achterbahn patentiert worden sein. Auf dieses Datum geht der Welt-Achterbahn-Tag zurück. Die ursprüngliche Streckenform sah aus wie eine Acht, woher der in Deutschland gebräuchliche Name für die Fahrgeschäfte herrührt, während sie im Amerikanischen als „Roller Coaster“ ihre Runden drehen. Über den großen Teich kam die Idee noch vor dem Ersten Weltkrieg. Schon 1908 und 1909 staunte das Publikum auf der Münchner Theresienwiese über die ersten Achterbahnen im Kaiserreich.

Zu den deutschen Achterbahn-Pionieren zählte insbesondere der Bremer Schausteller Friedrich Wilhelm Siebold (1885-1944), der bereits 1910 eine „Super-8-Achterbahn“ baute. Siebold gehörte zu den Großen in seiner Branche. Er hatte unter anderem in Karlsruhe Maschinenbau studiert, konstruierte Attraktionen und stellte in seiner Karussellbaufirma Schaubuden sowie Wagen für Jahrmärkte her. Gleich nach dem Krieg machte er sich auch wieder an den Bau von Achterbahnen. Eine besondere hatte er 1920 im Sinn, eine mit Fassaden und Kulissen, die die Szenerie einer Bergwelt mit dem aufregenden Geratter durch einen Parcours verbinden sollte – heute würde man das „Thematisierung“ oder „Storytelling“ nennen. Siebold machte die Konstruktionszeichnungen. Doch wer sollte die Bahn bauen? Als Baustoff kam nur Holz infrage, an Stahlachterbahnen war noch nicht zu denken. So kam es zur Verbindung mit Heinrich Mack in Waldkirch. „Denn dort gab es ein hohes Holzvorkommen und Mack hatte langjährige Erfahrung mit der Holzverarbeitung“, erklärt Margit Ramus.

Wie die Ameisen beim Auf- und Abbau

Über die erste Achterbahn aus dem Hause Mack von vor 100 Jahren kursieren bereits einige Geschichten. Verbrieft ist das Herstellungsjahr 1921. Doch die Informationen darüber, was es für eine Bahn war und was aus ihr wurde, sind im Laufe der Zeit etwas durcheinandergeraten – meist wird sie als „Turmbahn“ bezeichnet, die auf verschlungenen Wegen schließlich im Kopenhagener Tivoli gelandet sein soll. Erst Margit Ramus bringt nun Licht in die Legende. Die 1951 geborene Kölnerin ist Schaustellerin und promovierte Kunsthistorikerin. In Büchern und im ersten deutschen digitalen Schausteller-Archiv „Kulturgut Volksfest“ widmet sie sich der Geschichte des Schaustellergewerbes. Bei ihren Ausführungen über die Mack-Achterbahn von 1921 stützt sie sich besonders auf ein Bildarchiv Siebolds, das sie von dessen Tochter, Hildegard Pfennig, erhalten hat und das auch im Markt- und Schaustellermuseum Essen zugänglich ist.

Demnach wurde die „Szenerie-Bergbahn“ – wie Siebold zeit seines Lebens darauf bestand, die Bahn zu nennen – 1921 auf dem Gelände der Firma Mack fertiggestellt. „Der Schienenweg mündete nach einer geraden Auffahrtstrecke in eine Acht“, beschreibt Ramus. Um in Fahrt zu kommen, wurden die Fahrgastgondeln also über eine Schienenrampe zunächst mit einer Kette zum höchsten Punkt gezogen – dann ratterten die Wagen aus eigener Kraft über ihre schienengebundene Fahrt. Die Maße der Bahn betrugen 18 Meter in der Frontbreite und 43 Meter in der Tiefe.

Einzigartige Fassadenverkleidung

Sie war transportabel und reiste von Jahrmarkt zu Jahrmarkt – so wie die meisten der damaligen Achterbahnen. Auf einer Postkarte mit ihrem Bild steht geschrieben: „Mit der ersten transportablen Szenerie-Bahn der Welt ins neue Jahr.“ Siebold muss somit mit Hilfe von Heinrich Mack etwas Neues auf den Markt gebracht haben. Der Schausteller beschäftigte rund 100 Mitarbeiter. Wenn die Zeit drängte, halfen an den jeweiligen Orten oft noch Aushilfskräfte mit. Schon der Auf- und Abbau solcher Fahrgeschäfte war eine Attraktion für sich. „Es gab noch keine Kranwagen“, erläutert Ramus. „Die Teile wurden mit Hilfe von Galgen und Seilen ein- oder ausgebaut. An den Stricken zogen dann fünf oder mehr Männer. Die haben wie die Ameisen daran gearbeitet.“ Die Besonderheit der ersten Mack-Bahn war aber ihre Dekoration – sie thematisierte die Berglandschaft am Klausenpass im Schweizer Kanton Uri. Die Bildtafeln, an denen die Passagiere in ihren Gondeln vorbeirauschten, zeigten weiße Berggipfel, auf Bergwiesen grasende Kühe und ein Bergdorf. „Die kulissenartige Fassadenverkleidung ist einzigartig für eine Achterbahn zu Beginn des 20. Jahrhunderts“, betont Ramus.

Nach dem Tod Siebolds 1944 wurde die „Szenerie-Bergbahn“ von der Firma Heiner Froitzheim übernommen. Anfang der 1950er Jahre gelangte sie noch einmal für einen Umbau durch die Firma Mack nach Waldkirch. Die prägnante Berg-Dekoration wurde entfernt. Etwa zur Mitte der 1960er Jahre verliert sich schließlich ihre Spur. Die „Szenerie-Bergbahn“ war aber nicht die einzige Verbindung zwischen Mack und Siebold. 1925 bauten sie noch eine Achterbahn. Diesmal sollte es tatsächlich eine „Turmbahn“ werden. Bei diesen Fahrgeschäften wurden die Wagen nicht auf einer geraden Strecke, sondern entlang einer spiralförmigen Schiene, nach oben zu ihrem Startpunkt gezogen. Auf alten Fotos wirkt die Turmbahn von Siebold und Mack geradezu majestätisch – denn darüber thront eine geschwungene, zum Teil drehbare Beleuchtung aus Lichterketten. In einer Zeit, in der noch längst nicht alle Haushalte elektrifiziert waren, muss sie magisch auf das Publikum gewirkt haben.

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Heinrich Mack III. (vorne sitzend als Zweiter von rechts) ist der Großvater von Roland und Jürgen Mack.
Über seiner Turmbahn von 1925 thronte eine drehbare Beleuchtung.

Heinrich Mack III. wurde 1882 geboren, 1914 übernahm er die Geschicke des Familienunternehmens Mack in Waldkirch. Die bereits zur Zeit Friedrichs des Großen 1780 in dem Breisgauort gegründete Firma hatte sich schon im Bau von Orgel-, Transport-, und Wohnwagen etabliert. Der Wagenbau sollte unter Heinrich Mack bis zu seinem Tode 1958 Schwerpunkt bleiben. Doch der Unternehmer scheute sich auch nicht vor Neuerungen. So baute er schon in den 1920er Jahren Achterbahnen und im folgenden Jahrzehnt Autoscooter und Benzinbahnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erweiterte er die Angebotspalette zudem unter anderem auf Karussells, Belustigungs- und Laufgeschäfte, Geisterbahnen, Spiel- und Verkaufsgeschäfte. Als Heinrich Mack 1958 starb, übernahmen die Söhne Hermann (1915-1984), Franz (1921-2010) sowie Willi (1922) die gemeinsame Firmenführung des Unternehmens, welches von dem Leitsatz geprägt war: „Nur das Gute bricht sich Bahn und hält sich auf der Höhe. Die weite Welt ist unser Feld.“

Konrad Adenauer interveniert
Siebold, der den Bau der Bahn persönlich vor Ort beaufsichtigte, nannte die Attraktion „Rigi-Turmbahn“ – nach einem Bergmassiv am Vierwaldstättersee in der Schweiz. Die Alpenrepublik spielt bei der Entstehung aber noch eine gewichtigere Rolle. In der damaligen Wirtschaftskrise rettete der Schweizer Schausteller Heinrich Weidauer als Kompagnon das Projekt, indem er jedes Wochenende nach Waldkirch kam und „harte Fränkli“ in einem Koffer voller Bargeld zu den klammen Kassen der deutschen Projektbeteiligten zugeschossen hat. Weidauer konnte die Turmbahn dafür im Gegenzug einige Jahre auf der „Basler Mess“ einsetzen. Als das Schweizer Darlehen abgegolten war, bereiste sie die großen Festplätze in ganz Deutschland. Später lieh sie Siebold, der inzwischen mit einem Geschäftspartner zu „Siebold & Herhaus“ firmiert war, an den bereits 1883 von dem Deutschen Jacob Schultheis gegründeten „Gröna Lund Tivoli“-Vergnügungspark in Stockholm aus.


Margit Ramus

Dort wurde sie 1935 bei einem Großbrand zerstört, aber wiederaufgebaut. Im Zweiten Weltkrieg beschlagnahmten schwedische Behörden die Turmbahn. Als Siebolds Witwe Medy den Coaster in den 1950er Jahren nach Deutschland zurückholen wollte, schaltete sich sogar Bundeskanzler Konrad Adenauer ein. „Die Rückgabe wurde dann zwar vereinbart“, berichtet Margit Ramus. „Aber aufgrund der hohen Kosten für den Transport entschied sich Medy Siebold schließlich, die Bahn an die Schweden zu verkaufen. Wahrscheinlich ist sie noch bis weit in die 1960er Jahre dort gelaufen. Denn Stahlachterbahnen kamen erst danach auf.“

Heute berechnen Computerprogramme die Dynamik von Achterbahnen, damals war es nur den technischen Vorstellungen der Planer und dem handwerklichen Geschick der Erbauer geschuldet, dass die Passagiere nicht etwa aus den Kurven herausgehoben wurden wie Skispringer auf der Flugschanze. „Mack war schon immer für ausgeglichene Fahrten bekannt“, beschreibt Margit Ramus. „Es war eine regelrechte Holzkunst, die Bahnen haben ja auch allen Witterungsverhältnissen standgehalten – und das über viele Jahrzehnte.“

von Christoph Erz