100 große Stehauffrauen für Europa

Installation des Künstlers Ottmar Hörl im Europa-Park anlässlich des 100sten Geburtstages von Park-Gründer Franz Mack

Eine große „Europa“-Installation des Künstlers Ottmar Hörl mit 100 Europa-Skulpturen wird über den Sommer im Europa-Park zu sehen sein. Anlass ist der 100ste Geburtstag von Franz Mack am 7. März 2021.

Ottmar Hörl ist seit Jahrzehnten einer der bekanntesten Konzeptkünstler im europäischen Raum. Er wurde vor allem durch seine vielfältigen Skulpturen zu Themen des alltäglichen Lebens sowie durch Großprojekte mit seriellen Skulpturen im öffentlichen Raum bekannt, etwa Beethoven, Goethe, Daimler, Hölderlin, aber auch seine Zwerge, Spontis, Schutzengel, Dürer-Hasen usw. sind weltberühmt geworden. Hörl war seit 1999 Professor und seit 2005 Präsident an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. 2017 wurde er emeritiert.

Im Sinne seiner verschiedenen spektakulären Installationen in Städten wird Ottmar Hörl eine Installation von 100 Figuren zum Thema Europa im Europa-Park in der Nähe des Bronzedenkmals von Franz Mack aufbauen. Dafür hat er eigens für den Europa-Park eine Figur „Europa“ entwickelt.

Die Figur im Stile eines Stehaufmännchens, genauer gesagt der Stehauffrau, steht für Europa. Europa gerät zwar immer wieder mehr oder weniger ins Schwanken, steht aber gleichermaßen immer wieder auf. Die Figur hat eine Höhe von 80 Zentimeter. Diese limitierte Edition „100 Jahre Franz Mack“ ist mit einer eigenen Prägung versehen und von Hörl signiert. Das macht die Figuren sehr begehrenswert. Hörl sieht sich selbst als überzeugter Europäer und zeigt sich begeistert vom tagtäglich „gelebten Europa verschiedenen Kulturen" im Europa-Park.

Eine verdiente Ehre für Franz Mack, der die europäische Idee ohne großes Aufhebens einfach gelebt hat. Er hat nie Unterschiede bei verschiedenen Nationalitäten gemacht.

Ottmar Hörl (Foto: Simeon Johnke)

emotional pur hat  Ottmar Hörl bei seinem ersten Besuch im Europa-Park interviewt:

Wie wichtig ist es, dass Ihre Kunst zu möglichst vielen Menschen kommt?
Ottmar Hörl: Das ist eine existentielle Frage. Ohne die Menschen wäre ich kein Künstler. Was ich mache, möchte ich den Menschen zeigen und zur Diskussion stellen. Und zwar möglichst vielen und aus allen Schichten. Es gibt ja einen kleinen Kreis, der recht viel über Kunst weiß und von Kunst versteht. Wenn die Menschen fehlen, fehlt meine Motivation. Es gibt immer noch eine Schwellenangst für Galerien oder Museen. Ich will die Menschen da erreichen, wo sie einfach sind, nämlich in einer Stadt oder jetzt im Freizeitpark. So werden Menschen an die Kunst herangeführt, die sonst nicht ins Museum gehen. Im öffentlichen Raum erreiche ich die Passanten. Das braucht aber Inhalte und eine gewisse Logik. Warum hat Ottmar Hörl auf diesem Platz diese Installation gemacht? Will er mit mir in Kontakt kommen? Hat der Künstler etwas für mich gemacht? Es wäre schön, wenn möglichst viele Menschen sich der Kunst entspannt nähern.

Beobachten Sie die Reaktionen der Menschen auf Ihre Figuren und lassen das wieder in die Arbeit einfliessen?
Hörl: Nein, das mache ich nicht. Aber für mich ist es wichtig, eine inhaltliche Fragestellung zu haben, die möglichst alle Menschen nachvollziehen können. Wenn ich freilich merke, die Menschen reagieren überhaupt nicht auf meine Kunst, dann bin ich gescheitert. Der öffentliche Raum ist der Kommunikationsraum für mich. Ich sehe es so: es sind nie die Menschen zu blöd, meine Kunst zu verstehen, sondern im Zweifelsfalle war ich zu blöd, die Menschen zu verstehen. Da draußen laufen sehr viele intelligente Leute herum, selbst wenn sie vielleicht nichts von Kunst verstehen. Wenn ich die Kontaktaufnahme schaffe, ist das toll. Jeder fängt ja irgendwo an.

Warum sind Ihre Figuren eigentlich meist einfarbig?
Hörl: Weil mich das Monochrome interessiert. Daraus kann ich seriell und mit einem Reihungssystem arbeiten. Das ist wie unsere Gesellschaft. Alles hat ein serielles Problem...

...was zum Beispiel?
Hörl: ...alles, Ihr Handy, Ihre Brille, Ihr Auto. Nur die Menschen an sich und die Natur sind nicht seriell. Alles, was uns umgibt, jedes Buch, jeder Film unser ganzes Leben ist eine serielle Konzeption. Jeder kann teilnehmen, sich eine CD kaufen, eine Musikanlage, ein TV-Gerät, einen Computer, ein Auto, ein Buch, weil  wir über die serielle Fertigung extrem günstig arbeiten. Alle Menschen können teilhaben. Das Schlimmste ist das Ausschlußverfahren. Bis vor gut 100 Jahren konnten die meisten Menschen nicht an einer Bildungskonzeption teilnehmen. Nur ein paar adelige Familien konnten sich etwas leisten, der Rest der Menschheit nicht. Erst als das Bürgertum kam, wurde das anders. Das ist alles noch nicht so lange her... das beschäftigt mich intensiv. Alle Menschen sollen am Entwicklungsprozess mit beteiligt sein. Das will ich auch mit der Kunst.

„Europa muss das Wanken aushalten und immer wieder aufstehen“

Oft wird Kunst ja sehr ernst betrachtet. Bei aller Tiefgründigkeit hat man das Gefühl, Ihnen macht die Kunst auch großen Spaß. Steckt da auch mal ein kleiner Schalk drin?
Hörl: Klar stecken bei mir Humor und Ironie drin. Jeder Mensch kommt in schwierige Situationen. Jedes Leben hat verschiedene Facetten. Aus jedem Dilemma müssen wir auch wieder rauskommen. Humor ist  einer der wesentlichen Gesichtspunkte. Nur Ernst kann nicht funktionieren. Wir müssen auch über Dinge lachen können.

Können Sie mal ein Beispiel nennen?
Hörl: Das habe ich bei fast allen Projekten. Keines ist todernst. Ich stelle mich auch selbst in Frage. Ich will nicht wie der Großmeister auftreten. Ich versuche aber auch keine Lachnummer zu sein. Die Arbeiten dürfen einfach nicht zu weit weg sein von allen Menschen, sonst kommt kein Kontakt zustande. Die Leute dürfen keine Angst haben, eine Peinlichkeit beim Thema Kunst zu begehen. Keiner traut sich zu fragen: Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht? Diese Angst möchte ich nicht.

Europa-Park-Chef Roland Mack mit Ottmar Hörl

Bei welcher Gelegenheit haben Sie sich selbst in Frage gestellt?
Hörl: Während  des Studiums dachte ich, ich bin schlauer als die anderen und ich weiß, wie Kunst geht. Das hat sich recht lange gehalten. Bis ich dann mal in einem Lernprozeß über mich selbst war. Ich habe gemerkt, je mehr ich über Kunst weiß, desto weniger verstehe ich davon. Ich hatte vorher zu viel Arroganz. Im Laufe der Jahre legt sich das. Die Frage ist immer, wie komme ich in den Dialog mit den Menschen. Neulich hat eine Krankenschwester zu mir gesagt: So ein Gartenzwerg ist doch eigentlich Kitsch, aber es gefällt mir. Ist es schlimm? Meine Antwort: Was soll daran schlimm ein? Gibt es eine Kunstpolizei, die sagt, was ist Kunst und was ist verboten. Wir müssen alle Menschen annehmen, wie sie sind.

Was verbinden Sie persönlich mit Europa?
Hörl: Eigentlich alles. Meine gesamte Existenz. Ich fühle mich immer schon als Europäer. Die europäische Identität ist mir unglaublich wichtig. Das ist ein kultureller Austausch. Wir lernen täglich voneinander. Die erste Erfahrung waren die Gastarbeiter aus Italien. Davon haben wir sehr viel profitiert. Was hatten wir für eine Speisekarte, bevor die Italiener kamen? Auch das müssen wir schätzen lernen. Eine kulturelle Vielfalt. Ich esse so gerne und denke, was haben wir  doch von den Franzosen gelernt. Ein Essen bei Haeberlins in Illhäusern im Elsaß, was gibt es Besseres? Das ist nicht zu toppen. Ich habe dort vor 30 Jahren ein Lachs-Soufflee gegessen. Das ist mir nie mehr aus dem Kopf gegangen, auch das ist Europa. Wir müssen uns austauschen. Wir dürfen nicht so tun, als wüssten wir schon alles. Künstler müssen auch die Idee der Schwäche mitliefern. Es ist nicht alles perfekt. Das hat nicht nur was mit Kunst zu tun, sondern mit Menschlichkeit.

Wie ist es mit dem Stehaufmännchen Europa, das in Ihrer Skulptur steckt?
Hörl: Ich bin ein überzeugter Europäer, ich habe schon in allen Ländern Europas ausgestellt. Europa steht auf tönernen Füssen. Europa ist immer noch eine avantgardistische Idee. Im Zeitlauf der Geschichte ist Europa ja erst am Wachsen. Karl der Große war schon vor über 1000 Jahren ein großer Europäer. Wir sehen am Brexit, wie schnell Ideologie dazu führt, das Nationalstaatliche in den Vordergrund zu stellen, wie jetzt die Engländer mit ihrem persönlichen Egoismus. Europa muss das Wanken aushalten und immer wieder aufstehen.

Ein Wort zu Ihrem Projekt Europa.
Hörl: Ich mache ein gestalterisches Angebot als Künstler. Ich gehe davon aus, dass die Besucher, die Instabilität der Europäischen Gemeinschaft erkennen. Eigentlich  steckt in der Figur alles drin: Stehaufmännchen, steh auf Europa. Man darf sich nicht entmutigen lassen, wenn etwas ins Wanken gerät oder kippt. Wir müssen immer wieder kämpfen für eine stabile Situation. Daran müssen wir alle arbeiten. Das Stehaufmännchen fällt und steht wieder auf. Wie wir auch an der Demokratie  ständig arbeiten.

Was verbinden Sie mit einem Freizeitpark, wie dem Europa-Park?
Hörl: Ich war vorher noch nie in einem Freizeitpark. Ich bin positiv fassungslos, welche Größenordnung und welche Vielfalt an diesem Ort entstanden sind. Das hatte ich überhaupt nicht so eingeschätzt. Alle Themenbereiche sind sehr authentisch umgesetzt. Wenn man den Europa-Park ernst nimmt, müsste er eine Heimat für alle Menschen in Europa sein. Hier erleben wir Europa auf engstem Raum. Auch das ist eine kulturelle Identität. Der Europa-Park ist wie ein Schauspiel, wie eine europäische Opernbühne. Schon sehr eindrucksvoll.

Wie entstehen die Skulpturen von Ottmar Hörl?
Die Skulpturen „Europa“ werden in einem spezialisierten, traditionellen Handwerksbetrieb in Coburg gefertigt: im Schleudergussverfahren. Mit diesem Spezialverfahren werden die meisten bekannten Skulpturen von Ottmar Hörl geschaffen. In einem aufwendigen Prozess von mehreren Wochen wird vor der Fertigung der ersten Kunststoff-Skulptur eine Kupfergussform erstellt. Bei der Herstellung rotiert diese Gussform dann in Brennkammern. Der Kunststoff wird dabei an die heißen Formenwände geschleudert: Es geliert und verfestigt sich. Während des Erkaltungsprozesses bearbeiten Spezialisten die dabei entstandene Hohlraumskulptur anschließend mit der Hand nach. Auf diese Weise entstehen serielle Einzelstücke.