Wie man Farben studiert

Farbe ist eine der tragenden Säulen in Gestaltung und Design.

von Ariane Lindemann

   

Wohlbefinden, Stimmung und Atmosphäre werden über Farbe erzeugt. Mittels Farbe können Kaufanreize geschaffen, Signale gesetzt oder Botschaften vermittelt werden. Farbe bestimmt unseren Alltag und unsere Umwelt. An der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim wird bereits seit 45 Jahren zu diesem Thema gelehrt und geforscht. Das Studium Farbdesign ist einzigartig in Deutschland. Agenda Farbe sprach mit Vertretungsprofessor Timo Rieke über die Besonderheiten dieses Studiums, die verschiedenen Arbeitsfelder eines Farbdesigners und das Thema … Farbe.

Warum ist die Farbauswahl in allen Bereichen unseres Lebens wichtig?
Timo Rieke: Farbe ist dann besonders relevant, wenn sie Kommunikation für Menschen erleichtert. Und das ist eigentlich ständig der Fall. In vielen Fällen ermöglicht allein Farbe das Finden, Identifizieren und Erkennen eines Sachverhaltes oder einer Emotion. Produkte im Supermarkt allein über Schrift und Typografie zu unterscheiden, ist vorstellbar, der Einkauf würde allerdings viel mehr Zeit in Anspruch nehmen. Farbe schafft Ordnung, und Ordnung schafft Orientierung – auch innerhalb unserer Gesellschaft.


Was ist das besondere am Studium Farbdesign in Hildesheim?
Rieke: Normalerweise ist Farbe ein kleiner Bereich im Curriculum des Kommunikationsdesigns oder der Architektur. Für uns ist Farbe der Mittelpunkt, von dem aus wir unsere Fühler in Richtung Innenarchitektur, Lichtdesign, Ausstellungsgestaltung, Produktdesign, Grafik-Design, Architektur oder Wissenschaft ausstrecken.


Was können die Studierenden bei Ihnen lernen?
Rieke: Studenten lernen in unserem Studium, dass Farbe nicht verwechselt werden darf mit Buntheit und dass Farbdesign keine Kunst ist, sondern eine Methode, uns mit Hilfe von Farbe die funktionale, emotionale und kulturelle Essenz einer Oberfläche, einer Kollektion, eines Produktes oder eines Raumes zu definieren. Dazu gehört das Wissen über die Erforschung der Vergangenheit, der Definition von Gegenwart und der Vorstellung der Zukunft.


Welche Berufsmöglichkeiten haben Farbdesigner?
Rieke: Die Berufsmöglichkeiten sind sehr vielfältig und abhängig vom Schwerpunkt der Studierenden. Farbdesigner arbeiten angestellt oder selbstständig für Agenturen, Designabteilungen oder Architekturbüros sowie in den Designteams der Industrie. Das bedeutet beispielsweise in der Automobilindustrie, der Textilindustrie, bei Bodenbelagsherstellern, Tapetenfirmen oder der Farbindustrie.

 Ein Mal pro Semester veranstaltet das Kompetenzfeld Farbdesign gemeinsam mit dem Institute International Trendscouting (IIT) einen Trendscouting Workshop.

Im Studiengang Farbdesign spielt auch das Thema Trendforschung eine wichtige Rolle. Wie entsteht ein neuer Farbtrend? Wer gibt dafür die Impulse?
Rieke: Es ist nicht zu sagen, wann ein neuer Farbtrend beginnt oder wer die entscheidenden Impulse gibt. Wir können aber feststellen, dass Farbtrends existieren und Einfluss auf verschiedene Lebensbereiche im privaten und öffentlichen Bereich haben. Sie steuern Verkaufsentscheidungen im Bereich Textil, Wohnraum oder Office. Trendfarben zeigen, dass etwas neu und attraktiv ist. Sie individualisieren und wirken am Point of Sale besonders anziehend. Auf der einen Seite gibt es spezialisierte Trendagenturen, Trendberichte der Industrie, trendsetzende Jungdesigner und traditionelle, einflussreiche Hersteller. Auf der anderen Seite können Trends auch analytisch wissenschaftlich betrachtet werden. In Hildesheim führen wir komplexe Studien durch, welche die Aspekte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenbringen.

Welche Wirkung hat Farbe auf unser Wohlbefinden, unser Verhalten und unsere Stimmung und wie wird sie gemessen?
Rieke: Farbe ist schreiend und flüsternd, weich oder hart, leicht oder schwer, duftend oder riechend, süß oder sauer, nah oder fern, jung oder alt. Farbe vereint Eigenschaften aus allen menschlichen Sinnen und bildet damit eine Metaebene, die alle Formen der visuellen Kommunikation beherrscht. Farbe beeinflusst die Wirkung von Typografie und Illustration, analoger und digitaler Grafik, Fotografie und Film, Markenbotschaften und Corporate Identities, Werbung, Produkt- und Verpackungsdesign und vieles mehr. Farbe kommuniziert Bedeutungen, die uns das schnelle Erkennen von Botschaften ermöglicht. Wer Farbe lesen kann, erkennt unterschiedliche Produktqualitäten wie Frische und Geschmack oder Materialität bereits von weitem.


Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Verbindung von Farbwahrnehmung und Oberflächenanmutung, von Farbe und Haptik. Wie hängen diese beiden Bereiche zusammen?
Rieke: Alle Menschen gleichen farbige Szenarien unbewusst immer mit Erinnerungen oder Sehgewohnheiten ab. Grau- Beige-Töne erinnern an Sandstein, dunklere Brauntöne an Erden, Grün an Blätter. Diese Erfahrungen sind mit haptischen und taktilen Empfindungen verknüpft. Über die Farbe können Materialeigenschaften eines Objektes definiert werden. Ein frisches Blatt fühlt sich anders an als Sandstein. Ein schwarzer Karton wirkt schwerer als ein weißer, eine rosafarbene Form weicher als eine dunkelgraue. Mir ist es wichtig, Farbe als eine Information zu begreifen, die 1. rein optisch wirkt, die 2. alle Sinne mitnimmt und die 3. eine kulturelle Bedeutung hat.

      


Wie ist Ihre Prognose für die Farbtrends der nächsten Jahre? Gibt es Farben, die absolut „out“ sind?
Rieke: Die Zukunft stellen wir uns immer bunt vor. Die Realität sagt etwas anderes. Die Gegenwart ist unbunter als Sie denken. Zukunft ist folglich „in“, Gegenwart ist „out“. Farbtrends wecken bestimmte Erwartungen an eine farbige Zukunft. „Out“ ist es, nicht in Farbe zu denken.


Was ist Ihre ganz persönliche Lieblingsfarbe?
Rieke: Sanft, auffällig und wachsend.

      

Fotos: Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen (HAWK), Sabine Hirsch

Timo Rieke
lehrt seit 2011 als Vertretungsprofessor Farbdesign an der HAWK in Hildesheim. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Verbindung von Farbwahrnehmung und Oberflächenanmutung sowie Farbe und Haptik in den Bereichen Produkt/Objekt/ Raum. Er ist Mitglied des Vorstandes des Deutschen Farbenzentrums e.V. (DFZ) und Teil des Institute International Trendscouting (IIT) in Hildesheim sowie Gründer des Visual Haptics Lab in Hannover.