Joachim Löw

„Ich bin einer von hier”

Es gibt Fußballtrainer, die verfolgen ein Spiel geradezu stoisch, mehr oder minder regungslos. Andere laufen an der Seitenlinie auf und ab wie ein Rumpelstilzchen. Und es gibt Joachim „Jogi“ Löw. Zuallermeist ist er abgeklärt und locker, stylisch in klassisch-elegantem Look beobachtet er das Treiben auf dem Spielfeld, perfekt frisiert und selbst noch bewundernswert sportlich fit. Ganz selten sieht man ihn wirklich ausrasten, eher spiegelt sich das Spiel seiner Mannschaft in seinem Gesicht wider, vor allem wenn es nicht läuft. Dann zeigt die Löw'sche Mimik Züge des Entsetzens und Leidens, sein Ausdruck kann dann sogar Richtung Zitronengesicht tendieren – so wie zuletzt beim Halbfinale der Europameisterschaft, als auch viele Chancen und eine deutliche Feldüberlegenheit das Aus- scheiden gegen Gastgeber Frankreich nicht abwenden konnten.

Doch solche Momente der Zitronengesichtigkeit sind selten – auch für die deutschen Fans.  Als Löw 2004 zunächst als Assistent von Jürgen Klinsmann zur Nationalelf kam, war der deutsche Fußball so schlecht wie nie. Seither kam die Nationalmannschaft stets unter die letzten Vier bei den großen Turnieren: Dritter des Sommermärchens 2006, Finale bei der Euro 2008, Halbfinale bei der WM 2010, Halbfinale bei der Euro 2012 und schließlich Weltmeister 2014 und nun wieder Halbfinale in Frankreich – aber vor allem: Seither zeigen die, die den Bundesadler auf dem Trikot tragen, ein von der deutschen Nationalmannschaft fast nie zuvor gesehenes schönes, dominantes Spiel.

„Automatismen sind sehr wichtig. Die müssen im Spiel sitzen wie ein Paar alte Jeans. Seitdem ich bei der Nationalmannschaft bin, gibt es im Training daher ständige Wiederholungen bestimmter Übungen.“

Löw mit Bastian Schweinsteiger. Wer hätte gedacht, dass aus dem beim KSC einst gescheiterten einmal ein Weltmeister wird?

Zu den Besonderheiten des Joachim Löw gehört es aber auch, wie er weltmännisches Auftreten mit ungekünstelter Bodenständigkeit verbindet. Aus seinem südbadischen Akzent hat er nie einen Hehl gemacht und als er nach seiner Rückkehr von der WM 2014 in Brasilien von tausenden Fans in Freiburg empfangen wurde, bekannte er: „Ich bin einer von hier, und darüber bin ich sehr glücklich.” Dies schließt sicher den gesamten Süwesten mit ein, schließlich gehören neben Freiburg auch Karlsruhe und Stuttgart zu ganz wesentlichen Stationen seiner Karriere. Löw kam am 3. Februar 1960 in Schönau im Schwarzwald als ältester von vier Brüdern zur Welt. Hier wuchs er auf, besuchte die Grundschule und das Gymnasium und legte schließlich im Juni 1977 die Mittlere Reifeprüfung ab.

Heute wohnt der Weltmeistertrainer mit seiner Frau Daniela in Wittnau bei Freiburg. Das Paar ist seit 1986 verheiratet – viel mehr dringt kaum an die Öffentlichkeit. Löw hat es geschafft, sein Privatleben weitestgehend tabu zu halten – obwohl es in Deutschland kaum jemand geben dürfte, dessen Tun und Lassen derart beäugt und unter die Lupe genommen wird. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel” nannte ihn vor kurzem den „Nebenkanzler”.

Bundestrainer Jogi Löw liebt Baden-Baden, gerne speist er im Restaurant Rizzi.

Bis zu dieser öffentlichen Bedeutung – und der damit verbundenen Anerkennung – war es für den Badener aber durchaus ein weiter Weg. Seine Vita steckt voller Hindernisse und Rückschläge. 1978 kam er als hoffnungsvolles Talent mit 18 Jahren zum SC Freiburg. Löw gab, wie er selbst sagt, alles für den großen Durchbruch doch der sollte dem eleganten Stürmer nicht gelingen. Zwar ist er bis heute mit 81 Treffern Rekordtorschütze beim SC Freiburg, bei dem er gleich dreimal Station machte. Aber was vielversprechend begann, lief nach einem schweren Schienbeinbruch beim VfB Stuttgart, beim Karlsruher SC und bei Eintracht Frankfurt unter anderem in der Bundesliga eher schleppend. Von besonderer Bedeutung ist für den heutigen Bundestrainer die Schweiz: Im Nachbarland beendete Löw seine Spielerkarriere und fand ins Trainergeschäft. Und es war ein Schweizer, Rolf Fringer, der ihn 1995 zu seinem Assistenten beim VfB Stuttgart machte und damit auf die ganz große Fußballbühne brachte. Bereits ein Jahr später trat er die Nachfolge des entlassenen Fringer beim VfB an und stand erstmals als Chef eines Bundesligisten an der Seitenlinie. Zunächst mit großem Erfolg, der mit dem Pokalsieg 1997 gekrönt wurde.

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Doch nach diesem vielversprechenden Beginn schien es erneut so, dass der ganz große Durchbruch doch nie kommen sollte. Die folgenden Jahre glichen einer Tingeltour durch Deutschland, die Türkei und Österreich, ehe der Schwabe Jürgen Klinsmann den Badener 2004 zum Co-Trainer bei der Nationalmannschaft machte. Was dann folgte, ist im Grunde eine Underdog-Geschichte, die auch Hollywood kaum besser erzählen könnte: 2006 wird quasi über Nacht aus dem Bundes-Co-Trainer der Verantwortliche für den bedeutendsten Posten im gesamten deutschen Sport. Und diesem bis da- hin kaum beachteten Coach gelingt es, Deutschland zurück in die Weltspitze zu führen und auch noch, einen modernen und begeisternden Fußball spielen zu lassen. In einem Interview hat Löw 2007 seine Methodik so erklärt: „Automatismen sind sehr wichtig. Die müssen im Spiel sitzen wie ein Paar alte Jeans. Seitdem ich bei der Nationalmannschaft bin, gibt es im Training daher ständige Wiederholungen bestimmter Übungen.“

2014 erhielt Löw in Baden-Baden den Deutschen Medienpreis.

Löw besitzt eine Fähigkeit, nie den Glauben an sich selbst zu verlieren. Heute ist er als Weltmeistertrainer ganz oben: Er wurde 2014 zum Welttrainer des Jahres gewählt und mit dem Deutschen Medienpreis ausgezeichnet. Auf der ganzen Welt wird es kaum einen Menschen geben, dem der Name Joachim „Jogi“ Löw nicht bekannt ist, dennoch tritt er in der Öffentlichkeit stets bescheiden auf und macht kein Aufheben um seine Person – so wie vor wenigen Wochen bei einem Besuch in Baden- Baden. Die Stadt an der Oos gehört ganz sicher zu den Orten, die der badische Weltbürger im Südwesten besonders schätzt.

Regelmäßig besucht er sie, mal erholt er sich im historischen römisch-irischen Friedrichsbad, regelmäßig speist er auch im Restaurant Rizzi. Kurz vor Beginn der Fußball-EM machte es sich der Bundestrainer mit ein paar Bekannten auf der Terrasse des Rizzi gemütlich und genoss den Lunch mit dem herrlichen Blick auf die Lichtentaler Allee. Manche Leute blieben stehen, manche sprachen ihn an, Löw blieb immer freundlich und gelassen – er ist eben einer von hier.

Christoph Ertz