„Wir müssen politischer werden“

Martin Engelmann ist seit 1. November 2015 Hauptgeschäftsführer des Verbands der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie.

von Christoph Ertz

   

Worin sehen Sie die derzeit größten Herausforderungen für den VdL und seine Mitglieder?
Martin Engelmann: Es gibt gerade eine ganze Summe von Einzelrisiken: schwächelndes China, die Nahostkonflikte und damit verknüpft die Flüchtlingskrise, Gefahren in Europa durch nationalistische Bewegungen, weiterhin Griechenland, der drohende Brexit, Russland. Das sind viele Unsicherheiten, die den Markt belasten und es schwierig machen, Investitionen zu planen. In dieser Summe ist das in den letzen 15, 20 Jahren einzigartig. Hinzu kommen drohende Belastungen durch den Gesetzgeber.


Was meinen Sie damit konkret?
Engelmann: Im Anlagensicherheitsrecht sind wir dabei, die Seveso-III-Richtlinie der EU in nationales Recht umzusetzen. Das ist auch ok, aber im ersten Referentenentwurf des Bundesumweltministeriums ist ein Passus drin, der eine ungerechtfertigte Verschärfung des Abstandsgebots zulasten des Anlagenbetreibers beinhalten würde. Ein weiteres Beispiel ist eine geplante Verschärfung bei der Meldung an Giftinformationszentralen.


Um was geht es dabei?
Engelmann: Zurzeit ist auf europäischer Ebene eine Harmonisierung der Meldepflicht von Unternehmen für so genannte „gefährliche Gemische“ im Gange, die ab 2019 wirksam werden soll. Insgesamt gibt es im Bereich der Lack- und Druckfarbenindustrie rund 600.000 so genannte „lebende“ Rezepte, das heißt Rezepturen, die mindestens einmal jährlich angewendet werden. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass auch ein einzelnes mittelständisches Unternehmen bis zu 30.000 Rezepte im Jahr nutzt. Da droht ein Riesenverwaltungsaufwand für unsere Firmen. Wir müssen daher dafür sorgen, dass das praktikabel ausgestattet wird. In Deutschland muss es bis zum Wirksamwerden der EU-weiten Regeln eine Übergangsphase geben, um eine Benachteiligung deutscher Firmen zu verhindern. Es sollte ja auch im Interesse der Politik sein, die bürokratischen Kosten so gering wie möglich zu halten.


Was bedeuten solche gesetzgeberischen Initiativen für den Verband?
Engelmann: Wie müssen politischer werden. Das bedeutet, dass wir aus der Vielzahl unserer oft sehr technischen Themen, die für Nicht-Experten meist nur schwer zu verstehen sind, die zwei, drei wichtigsten für unsere Branche herausfiltern und die dann gegenüber der Politik relevant machen.


In solchen Fällen reagiert der Verband auf Problemstellungen. Aber sicher gibt es auch Wege, mit denen er selbst die Initiative ergreift.
Engelmann: Ja, natürlich. Besonders gilt das beim Thema Nachhaltigkeit. Wir haben das Thema aufgegriffen und unterstützen die „Chemie hoch 3“-Initiative der Chemieverbände zusammen mit der Chemie-Gewerkschaft. Es ist ein Nachhaltigkeitscheck entwickelt worden, der es den Unternehmen ermöglicht zu prüfen, welche Potenziale für nachhaltiges Handeln sie haben, auch um damit wettbewerbsfähiger zu werden. Der Check ist sehr abstrakt, da er von den großen Chemiefirmen entwickelt worden ist. Wir haben ihn runtergebrochen auf unsere eher mittelständisch geprägten Firmen. Ganz wichtig ist uns, Nachhaltigkeit nicht nur unter der Ökologieflagge, sondern als Gleichklang von ökonomischen, sozialen und ökologischen Interessen zu sehen. Lack- und Druckfarbenfirmen gehören bereits zu denjenigen Firmen, die diesen Check am meisten angewendet haben.

Wie unterstützt der Verband seine Mitglieder noch?
Engelmann: Unsere Verbandsarbeit ist grundsätzlich auf drei Säulen aufgestellt: politische Interessenvertretung, Service für die Mitglieder und Öffentlichkeitsarbeit. Auf allen Gebieten tun wir etwas, damit die aktuellen makroökonomischen Krisen zumindest nicht noch durch Behördenhandeln verschärft werden. Was wir jetzt nicht gebrauchen können, ist eine Schlechterstellung unserer Unternehmen gegenüber Wettbewerbern innerhalb Europas.

Gibt es neben all diesen Herausforderungen gegenwärtig auch besondere Chancen?

Engelmann: Absolut, Chancen gibt es auch jede Menge ... gerade das Thema Nachhaltigkeit ist einer der größten Treiber, zum Beispiel was die Wärmedämmung im Bausektor angeht. Das ist immer noch die beste Maßnahme zum Klimaschutz, denn 40 Prozent der gesamten Energie wird für die Gebäudewärme oder -kühlung benötigt. Da zählt jede Einsparung und da wird einiges passieren. Eben- so wie beim Thema Infrastruktur: Straßen, Brücken, Eisenbahn – da ist vieles in die Jahre gekommen und insbesondere der Korrosionsschutz vernachlässigt worden. Die öffentlichen Kassen haben ja gerade Geld, das sie hier ein- setzen können und sollten. Weitere Chancen ergeben sich im sozialen Wohnungsbau, der viele Jahre brach lag ... aber auch das wird wieder ein Riesenthema. In all diesen Bereichen kann unsere Industrie profitieren.

Um nochmal beim allgegenwärtigen Thema Nachhaltigkeit zu bleiben, welche Aspekte spielen hier noch eine Rolle?

Engelmann: Es wird zunehmend in Richtung Leichtbau gehen und zu neuen Materialien, die andere und eventuell auch mehr Beschichtungen brauchen. Hochwertige innovative Beschichtungen werden zunehmend mehr Abnehmer finden. Die deutsche Lack- und Druckfarbenindustrie ist da bereits sehr innovativ.


Gibt es Beispiele, die Sie besonders begeistern?
Engelmann: Das ist natürlich subjektiv, aber was ich toll finde, ist die Idee, den Energiebrauch von Schiffen mit einem so genannten Haifischhaut-Lack zu reduzieren. Das wird sicher irgendwann umgesetzt. Außerdem werden Beschichtungsstoffe in Zukunft zunehmend weitere Funktionen über Schutz und Ästhetik hinaus enthalten, so beispielsweise Sonnenenergie in Strom umzuwandeln oder isolierende Effekte.

Sie sind von Hause aus Jurist und haben aber tagtäglich mit sehr technischen Themen zu tun – wie kommen Sie damit zu- recht?

Engelmann: Ich maße mir natürlich nicht an, alle technischen Details in unserer Industrie zu verstehen, aber ich bin auch nicht mehr ganz neu in der Chemiewelt (siehe Info-Box). Was mich interessiert, sind die Transfers von technischen Problemen in eine allgemein verständliche Sprache. Dafür muss man natürlich ein gewisses technisches Verständnis mitbringen ... man kann ja schließlich nur das erklären, was man auch verstanden hat.

Was möchten Sie den Leserinnen und Lesern zum Abschluss noch gerne über den Privatmenschen Martin Engelmann verraten?

Engelmann: Ich bin verheiratet und habe zwei kleine Kinder. Ursprünglich stamme ich aus Rostock, wo ich 1973 geboren wurde. 1977 haben meine Eltern mit mir und meinem Bruder einen Fluchtversuch in einem Schleuser-LKW mit doppeltem Boden versucht, der aber leider schief ging. Meine Eltern wurden inhaftiert und wir Kinder kamen in ein Stasi-Krankenhaus. Unser großes Glück war unsere Großmutter, die eine sehr resolute Frau war. Sie wusste ja gar nicht genau, was los war, da sie nicht eingeweiht war. Aber sie hat uns hartnäckig gesucht und dann in diesem Krankenhaus gefunden und einfach mitgenommen. Vor dieser Zivilcourage kann man nur den Hut ziehen. 1979 konnten wir dann glücklicherweise doch alle in die Bundesrepublik übersiedeln. Ich bin der erste Jurist in einer Arztfamilie, wahrscheinlich rührt mein politisches Interesse auch von meiner Familiengeschichte her.

   

Fotos: Heike Lyding

Martin Engelmann
trat zum 1. November 2015 seine Aufgabe als Hauptgeschäftsführer des VdL an. Er folgte auf Dietmar Eichstädt, der in den Ruhestand ging. Der promovierte Jurist leitete von 2006 bis 2011 das Büro des Hauptgeschäftsführers des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI). Danach war er als Director EU & Governmental Affairs bei PlasticsEurope, dem europäischen Verband der kunststofferzeugenden Industrie, in Brüssel tätig.