Schon die Antike war bunt

Entgegen der noch immer allgemein verbreiteten Vorstellung ging es bei den alten Griechen und Römern überaus farbig zu.

von Christoph Ertz

   

Wer bis Anfang 2017 ins Gasometer im baden-württembergischen Pforzheim kommt, kann vorher nicht wissen, welche Stimmung ihn gerade erwartet: Abenddämmerung, Nacht, Morgen oder Mittag. Je nachdem schimmert der Lichteinfall, je nachdem variiert die Geräuschkulisse von gemächlichem Zirpen bis zu geschäftigem Stimmenund Tätigkeitsgewirr. Aber egal welche Tages- oder Nachtzeit gerade nachgestellt ist, wohl für jeden Besucher wird die dargestellte Szenerie überwältigend sein. Über ihm wölbt sich in einem rund 3.500 Quadratmeter großen Panoramabild die ewige Stadt Rom – im Jahr 312. Der Berliner Künstler Yadegar Asisi ermöglicht damit einen detailgenauen Blick zurück zu einem bedeutenden Tag der Weltgeschichte. Das Historiengemälde zeigt Rom pendelnd zwischen Alltagsgeschehnissen und dem Moment, als Kaiser Konstantin nach der siegreichen Schlacht gegen seinen Kontrahenten Maxentius als alleiniger Herrscher in die Metropole am Tiber einzog – Konstantin stoppte damit die Christenverfolgung und schaffte die Voraussetzung, dass Jahrzehnte später das Christentum zur alleinigen Staatsreligion werden konnte.

„Rom 312“ (vorherige Doppelseite) und „Bunte Götter“: Die Antike, in der eine Farbe wertvoller als Gold war, wirkt zum Greifen nah.

Auf der gesamten Bildfläche im Pforzheimer Gasometer geht es farbig zu. Wie in einem Comic sind Bürger, Soldaten und Würdenträger in vielen verschiedenen Farben dargestellt. Hinzu kommt die Farbenpracht der Natur. Aber Paläste, Tempel und Statuen thronen eher in erhabenem, jedoch gleichförmigem Marmor über dem dargestellten Treiben. Womöglich wollte Asisi die allgemein mit der Antike verbundenen Sehgewohnheiten nicht zu arg irritieren, aber wahrscheinlich hätte er es viel bunter halten können. Denn: Die Antike war überaus farbenprächtig. Entgegen dem noch immer etwa durch Hollywood-Filme verbreiteten Bild wurde das Leben in der klassischen Antike nicht nur von marmorweiß im warmen Licht der Mittelmeersonne glänzenden Schaubildern und Gebäuden begleitet.

Dieser Blick auf die Antike als zwar edle aber träge Angelegenheit geht vor allem auf den Klassizismus des 18. Jahrhunderts zurück. „Da nun die weiße Farbe diejenige ist, welche die mehresten Lichtstrahlen zurückschicket, folglich sich empfindlicher machet: So wird auch ein schöner Körper desto schöner sein, je weißer er ist“, hatte der Archäologe Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) erklärt und damit ein prägendes Urteil gesprochen.

 Statuen waren einst bunt. Dies zeigt die Schau „Bunte Götter“ der vom Archäologen Vinzenz Brinkmann gegründeten Stiftung Archäologie.

Alles war bemalt
Die moderne Forschung kommt dagegen zu einem ganz anderen Schluss: „Alles war bemalt.“ Dies lehrt beispielsweise seit mehr als zehn Jahren die Wanderausstellung „Bunte Götter“, die unter anderem schon im Frankfurter Museum Liebieghaus und etlichen anderen Städten in mehreren Ländern zu sehen war. Die alten Griechen und Römer liebten es demnach kunterbunt. Grün, Blau, Gelb, Grün, Gold, Silber, Violett, Rot, Rosa und andere Farbtöne überzogen künstlerische Gegenstände. Mit Hilfe modernster Analysetechnik rekonstruieren die Ausstellungsmacher um den Archäologen Vinzenz Brinkmann die Farbreste auf antiken Statuen und lassen die Darstellungen als farbenfrohe Kopien auferstehen. Das Forscherteam konnte unter anderem nachweisen, dass sogar der Panthenon auf der Akropolis in Athen bunt ausgestaltet war. 

Aber auch im Alltag rührten etwa die antiken Baumeister reichlich im Farbtopf. So belegen die Ausgrabungen in Ostia, Rom, Herkulaneum oder Pompeji eindeutig die Farbigkeit römischer Bauten. Doch nicht nur Römer und Griechen, sondern alle Völker des Altertums gestalteten ihre Tempel, Paläste, Götter- und Menschenbilder farbig. Ägypter und Sumerer ebenso wie Babylonier, Assyrer und Perser.

Aber woher stammte die Farbe damals eigentlich? Vor allem dank der Naturkunde von Plinius dem Älteren (23-79 nach Christus) sind genaue Kenntnisse über die antiken Farbstoffe überliefert: So bildeten Malachit, Goldocker, Azurit, roter Ocker, Zinnober, Hämatit, Ägyptisch Blau, Realgar und Auripigment die Rohstoffe für die verwendeten Farben. Neben mineralischen Naturpigmenten – also im Grunde zerriebenen Steinen – verliehen auch schon künstlich hergestellte Pigmente den antiken Gegenständen ihre farbliche Aussage- und Anziehungskraft.

 Die „Bunten Götter“ zeigten sich schon an vielen internationalen Ausstellungsorten, so 2009 im Frankfurter Museum Liebieghaus.

Nach Ansicht von Experten kann man sogar von „einer antiken Farbtechnologie“ sprechen, denn höchst aufwendigeund komplizierte Verfahren zur Herstellung der Farben kamen zum Einsatz. So ist Ägyptisch Blau das älteste synthetisch hergestellte Blaupigment. Es wurde durch Brennen eines Gemisches aus verschiedenen Mineralien gewonnen. Dafür musste über einen längeren Zeitraum eine Ofentemperatur von 800 bis 900 Grad Celsius aufrecht erhalten werden – eine umso erstaunlichere Leistung, da ja noch kein Thermometer zur Verfügung stand. Die ältesten Funde des Pigments stammen aus der Zeit um 2.600 vor Christus – auch der berühmten HelmKrone der Nofretete sowie unzähligen anderen antiken Kunstobjekten verlieh Ägyptisch Blau ihre Farbe.

Die alles überragende und wertvollste Farbe des Altertums aber war Purpur. Vor allem das Volk der Phönizier, das in der Gegend des heutigen Libanon lebte, verstand sich auf den Umgang mit den Purpurstoffen. Davon zeugt auch der Name, den das Volk von den Griechen erhielt – er bedeutet so viel wie „Purpurland“. An Purpur zeigt sich besonders der unvorstellbare Aufwand, der hinter dem antiken Farbenrausch steckte. Denn die Farbe wurde aus einem Drüsen- Sekret von Meeresschnecken gewonnen. Wie mühselig, zeitaufwändig und damit teuer diese Produktion gewesen sein muss, bewies 1909 der Chemiker Paul Friedländer, der als erster die komplette Struktur des Farbstoffs entschlüsselte. Dabei brauchte er für die Herstellung von 1,4 Gramm reinen Purpurs etwa 12.000 Schnecken. Kein Wunder, dass Purpur zur Farbe der Mächtigen aufstieg. Die römischen Kaiser veranlassten schließlich, dass nur die höchsten Beamten und natürlich sie selbst und ihre Familien Purpur tragen durften. „Im Gegensatz zu heute hatten Farben in der Antike einen wirklich materiellen Wert“, erklärte vor einigen Jahren die Archäologin und Mitinitiatorin der Wanderausstellung „Bunte Götter“, Ulrike Koch-Brinkmann. Und die wertvollste Farbe Purpur war sogar kostbarer als Gold.

   

Fotos: Gasometer Pforzheim/Tom Schulze, Stiftung Archäologie, Vinzenz Brinkmann